Commissario Montalbano 14 - Die Tage des Zweifels
haben Sie solche Floskeln kategorisch abgelehnt, und jetzt verwenden Sie sie selber! Wie dem auch sei, ich schreibe gerade den Bericht zu dem Unbekannten im Schlauchboot.«
»Apropos, bei der Gelegenheit kann ich Ihnen schon mal sagen, dass er kein Unbekannter mehr ist. Ich habe seinen Pass gefunden, und in dem steht, er heißt Émile Lannec, ein Franzose, geboren in …«
»Das ist mir so was von schnurzegal.«
»Was jetzt?«
»Na, wie er heißt. Dass er Franzose ist … Für mich ist er eine Leiche und basta. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich eine zweite Obduktion vorgenommen habe, weil es da etwas gab, was mich stutzig gemacht hat.«
»Nämlich?«
»Ich hatte, trotz des völlig entstellten Gesichts, einige Narben entdeckt … will sagen, er hatte sich ein neues machen lassen.«
»Was?«
»Ist dieses ›Was?‹ Ausdruck Ihrer Verwunderung, oder wollen Sie wissen, was er sich hatte neu machen lassen?«
»Ich hab schon verstanden, Dottore, dass er sich ein neues Gesicht hat machen lassen.«
»Na also! Sehen Sie, wenigstens kapieren Sie noch ein bisschen was.«
»Sind Sie sicher, dass er sich hat operieren lassen?«
»Mehr als sicher. Und keine kleinen Korrekturen, wohlgemerkt, sondern ein ganz neues Gesicht.«
»Aber wieso …«
»Hören Sie, Ihr Wieso und Weshalb interessiert mich nicht. Von mir dürfen Sie keine Antworten erwarten. Die müssen Sie schon selber finden. Oder sind Ihre Gehirnzellen wegen des fortgeschrittenen Alters schon derart in Auflösung begriffen …«
»Wissen Sie, was ich Ihnen darauf antworte, Dottore?«
»Sagen Sie nichts. Ich weiß genau, was Sie mir sagen wollen, und gebe es von ganzem Herzen zurück.«
Wenn Pasquanos Information zutraf, änderte das kaum etwas am Gesamtbild.
Ob der Franzose sein Gesicht von Mutter Natur mitbekommen oder ob er es sich operativ hatte neu gestalten lassen, spielte für die Ermittlungen keine Rolle.
Die Mörder hatten es allerdings darauf angelegt, dass der Tote, mit welchem Gesicht auch immer, nicht sofort identifiziert wurde. Warum?
Montalbano hatte sich die Frage zwar schon einmal gestellt, aber er musste ihr wohl noch gründlicher nachgehen.
Bei der Durchsuchung des Toten hatten die Mörder bestimmt gemerkt, dass er seinen Pass nicht in der Tasche trug. Und sie vermuteten zu Recht, dass er ihn im Hotel gelassen hatte. Das Hotelpersonal würde den Toten sofort wiedererkennen, wenn sein Gesicht im Fernsehen oder in der Zeitung auftauchte …
Moment, Montalbà!
Er schlug das Telefonbuch auf und suchte die Nummer des Hotels Bellavista heraus.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung war ihm nicht bekannt. Es handelte sich wohl um den Tagesportier.
»Hier spricht Commissario Montalbano.«
»Ja, bitte?«
»Ist Signor Toscano da?«
»Er hat gesagt, dass er heute nicht vorbeikommt. Sie finden ihn im Möbelhaus.«
»Können Sie mir die Nummer geben?«
Sie wurde ihm mitgeteilt, und er rief gleich dort an.
»Signor Toscano? Montalbano am Apparat.«
»Guten Abend, Commissario.«
»Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die für mich sehr wichtig ist.«
»Ich stehe zu Ihren Diensten.«
»Hören Sie mir genau zu. An dem Abend, als Lannec angekommen ist, ist da irgendetwas Merkwürdiges in Ihrem Hotel vorgefallen?«
Toscanos Antwort kam zögerlich.
»Ja, doch. Jetzt wo ich dran denke … Aber das war etwas … wo ich eigentlich …«
»Sagen Sie es ruhig.«
»Sehen Sie, das Hotel ist etwas abgelegen. Drei Monate nach der Eröffnung, mitten in der Saison, sind eines Nachts Diebe eingebrochen und haben den Safe ausgeraubt, wo wir das Geld und den Schmuck der Gäste aufbewahren.«
»War der Nachtportier denn nicht da?«
»Doch, natürlich. Aber es war drei Uhr nachts. Zwischen drei und vier ist nicht viel los, die Gäste waren alle auf ihren Zimmern, und Scimè hatte sich in einer Kammer neben der Rezeption hingelegt … Wahrscheinlich haben sie ihn betäubt, denn er ist erst zwei Stunden später mit einem solchen Brummschädel aufgewacht, dass …«
Warum hatte er, Montalbano, davon nicht erfahren?
»Haben Sie den Diebstahl angezeigt?«
»Selbstverständlich. Bei den Carabinieri.«
»Und was haben die rausbekommen?«
»Es wurde ja nur in den Safe eingebrochen, deshalb sind die Carabinieri zu dem Schluss gelangt, dass die Diebe einen Komplizen unter den Hotelgästen gehabt haben mussten. Der hat den Portier wohl mit einem Spray betäubt und den Dieben die Tür geöffnet. Mehr haben die Carabinieri aber nicht
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