»Ich bin eine Dame, Sie Arschloch!«: Deutsche Dialoge mitgehört (German Edition)
»Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.« (Karl Kraus)
»Die Wahrheit liegt auf dem Platz.« (Otto Rehhagel)
Wir Deutschen haben den Buchdruck erfunden, die Dialektik und den Weltschmerz. Nirgendwo sonst in der Welt gibt es so viele Kulturvereine und Kirchenchöre pro Einwohner. Und wir haben weltweit die meisten Literaturwissenschaftsstudenten im 26. Semester. Und wohin hat uns das geführt? In diesem Buch können Sie es nachlesen. Und wir haben uns nichts ausgedacht! All diese Dialoge haben wir mitgehört und miterlebt: beim Bäcker und auf der Hundewiese, im Opernfoyer und in der U-Bahn, auf dem Spielplatz und im Starbucks. Wir haben gestaunt, gekichert, geseufzt und geweint. Und dann protokolliert, was die Kulturnation im Jahre 289 nach Kant so umtreibt: Gurken ohne Gene. Übergewichtskontrolle unter der Dusche. Hackfressen am Montagmorgen. Und Tschabalabatta ohne Kräuter. Jeder von uns glaubt nicht nur der bessere Bundestrainer zu sein, sondern auch noch der begabtere Unternehmenschef und gewitztere Kulturphilosoph. Es gibt nur ein Problem: Die anderen haben das noch nicht mitbekommen. Deshalb muss man so lange mit ihnen reden, bis es auch der Letzte kapiert hat. Ob beim Gemüsemann oder im Bordbistro. Das führt zu einer absoluten Win-win-Situation: Zwei reden. Und keiner hört zu.
Nichts ist komischer als die Wirklichkeit. Aber sie spendet auch Hoffnung. Denn unter dem Abgrund an Ahnungslosigkeit haben wir noch etwas ganz anderes entdeckt: Die Kulturnation lebt! Und zwar da, wo wir am wenigsten mit ihr rechnen: Skatspieler ergründen die Welt. Obdachlose kämpfen für richtiges Deutsch. Supermarktkunden retten die Wale. Und Taxifahrer verraten uns den Sinn des Lebens. Die größte Dummheit schlägt plötzlich um in größte Weisheit. Oder warum schwärmt Roland Koch für den Dalai Lama?
Hegel versprach eine vernünftige Welt. Marx versprach die klassenlose Gesellschaft. Wir versprechen nur eins: »Die wirklich wahre Wirklichkeit« (Dittsche). Holen Sie tief Luft. Und machen Sie sich auf etwas gefasst. Das Leben schreibt die besten Dialoge!
II.
Deutsche Dialoge
1. Sprachretter:
Von den Gebrüdern Grimm bis Wolf Schneider
»Die Sprache ist das Haus des Seins.« (Martin Heidegger)
»Du hast nie gelernt, dich artizukulieren.« (Die Ärzte)
Das Projekt war gewaltig: jedes einzelne deutsche Wort in all seinen Bedeutungen und Facetten bis zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen. Jakob Grimm begann es 1838 und starb darüber 1863, gerade erst beim Buchstaben F angekommen. Vollendet wurde das Deutsche Wörterbuch erst 1961: 33 Bände, 34.824 Seiten, Gesamtgewicht 84 kg. Heute ein Standardwerk und Bestseller, den jeder gelesen hat. Äh, Sie nicht?
123 Jahre an 35.000 Seiten schreiben, die nachher niemand liest: Das schaffen nur wir Deutschen. Und was ist das genau: Wahnsinn, Pedanterie oder Zwanghaftigkeit? Nein: Es ist Liebe. Wir Deutschen lieben unsere Sprache. Nicht zufällig sind wir das einzige Volk in Europa, das sich nicht nach der Gegend benannt hat, wo es wohnt, und nicht nach dem Volk, von dem es abstammt, sondern nach der Sprache, die wir sprechen: Deutsch. Was uns leicht in Verlegenheit bringt, wenn es um Schweizer und Österreicher geht.
Und weil wir unsere Sprache lieben, pflegen wir sie. Mit der Wucht einer katholischen Krankenschwester. Und falls sich ein französisches oder englisches Wort wie Maisonette oder Ticketcenter unerlaubt dazugesellt, verfallen wir in Panik und Kulturpessimismus. Und gründen spezielle Schutzorganisationen wie den Verein Deutsche Sprache. Dieser fordert zum Beispiel, das lästige ›Fastfood‹ umzutaufen in ›Eilmampf‹ oder ›Flinkie‹. Der Übergang von der Sprachliebe zur Paranoia ist fließend. Und immerhin: Ohne tiefromantische Liebe, rübezahl’sche Mühe und wagner’sche Leidenschaft wäre aus dem Sammelsurium mündlich überlieferter Bauerndialekte zwischen dem Schwarzwald und Dithmarschen niemals eine kultivierte Hochsprache geworden, die heute weltweit 120 Millionen Menschen sprechen.
Die Aufmerksamkeit für unsere Sprache, die doch eigentlich nur ein Mittel zur Verständigung ist, lebt und wirkt in jedem Einzelnen von uns. Vom Bettler bis zur BWL-Studentin. Wie spricht man einen adligen Hochstapler korrekt an – und wie einen Obdachlosen? Und was ist zu tun, wenn man auf dem Schild eines ausländischen Ladens einen Grammatikfehler entdeckt? Konsequent einschreiten, natürlich. Oder sich doch einmal ganz
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