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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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tief Atem und richtete das Wort an die Frau.

18
    Vermutlich wäre
er mit seinem Aussehen zufrieden gewesen, wenn er sich denn
dafür interessiert und gewusst hätte, was das ist
— Aussehen. Er hatte braune,
treublickende Augen, einen wohlausgebildeten Brustkorb,
prächtige Zähne, muskulöse Gliedmaßen;
außerdem einen gewissen Ruf im Viertel. Heute Morgen war er
am Wasser entlanggetrottet, wobei er sorgfältig darauf
geachtet hatte, den zahlreichen Pfützen auszuweichen. Im
Sommer machten sie ihm nichts aus, aber im Winter hasste er nasse
Pfoten, und an diesem frühen Morgen war es zudem empfindlich
kalt. Natürlich hatte Herrchen sein Missgeschick genau
verfolgt: Er war sogar stehengeblieben, um nichts zu verpassen.
Herrchens Mundwinkel hatten sich nach oben gezogen, dazu hatte er
ein bellendes Geräusch von sich gegeben und mit dem Kopf
gewackelt.     
    Er stieß ein
kurzes, mürrisches Knurren aus. Diese blöde Ratte hatte
einfach Glück gehabt. Jetzt stand er mit durchgedrückten
Vorderläufen und herabhängendem Schwanz auf der Kaimauer
und starrte frustriert auf das Wasser unter ihm. Die
Wasseroberfläche hatte sich wieder geschlossen, nur ein paar
winzige konzentrische Kreise waren dort zu sehen, wo die Ratte
verschwunden war. Sie würde gleich wieder nach oben kommen
— die Biester konnten hervorragend schwimmen — und
irgendwo an Land klettern, aber er hatte die Lust verloren, sie zu
jagen.
    Es war eine
große graue Ratte mit einem rosa Schwanz, die plötzlich
hinter einem Stapel Kisten auf der Kaimauer hervorgeschossen kam.
Als sie ihn gesehen hatte, stoppte sie, machte eine Kehrtwendung
und versuchte, wieder hinter den Kisten zu verschwinden. Er war in
die Luft gesprungen, um mit den Vorderpfoten auf dem Rücken
der Ratte zu landen, hatte sie aber nur an der linken Schulter
erwischt. Die Ratte hatte sich überschlagen und war gegen den
Poller geprallt. Dann war sie laut piepsend auf die Beine gekommen
und hatte einen Satz ins Wasser gemacht - aus der Traum! Er hatte
es plumpsen gehört und gewusst, dass er diesmal verloren
hatte.   
    Ein Weilchen saß
er regungslos am Rand der Kaimauer und blinzelte in den grauen
Himmel über dem Giudecca-Kanal. Dann stieß er ein
kurzes Wuff aus, was so viel bedeutete
wie: Da kann
man halt nichts machen. Schließlich schüttelte
er sich, so als wäre er durch die Betrachtung des Wassers nass
geworden, und trottete langsam weiter in Richtung Dogana. Sein Ziel
war eine kleine Treppe, die kurz vor der Spitze der Dogana zum
Wasser herabführte und auf deren Stufen die Flut bisweilen
tote Fische trieb. Fische, die sich durchaus noch verspeisen
ließen — falls einem die Möwen nicht
zuvorkamen.
    Als er vor den
grünlich schimmernden Stufen angekommen war, hielt er inne und
spähte mit gespitzten Ohren neugierig hinab. Volltreffer! Er
brach in ein freudiges Bellen aus, und sein Schwanz begann hektisch
zu wedeln. Zwischen der untersten Stufe und einem aus dem Wasser
ragenden Holzpfahl hatte sich ein großer Fisch verfangen. Er
kletterte vorsichtig nach unten und senkte die Schnauze auf den
Fisch hinab. Der Teil des Tieres, der aus dem Wasser ragte und auf
der untersten Stufe lag, sah aus wie die bleiche, haarlose Pfote,
mit der Herrchen ihm hin und wieder den Kopf tätschelte.
Allerdings ging von dem Fisch ein eigenartiger Geruch aus, und er
schnupperte vorsichtshalber noch einmal. Plötzlich roch er so
böse, dass sich seine Nackenhaare sträubten und er
automatisch anfing zu knurren.
    Er machte einen
nervösen Satz die Stufen hinauf und tat etwas, das er fast nie
tat, weil es ihm jedes Mal einen Tritt in die Rippen einhandelte.
Er setzte sich auf seine Hinterläufe und drehte den Kopf nach
oben. Dann öffnete er das Maul, so als wollte er in die
Wolkendecke am Himmel beißen, und stieß ein lautes
Geheul aus.
    *
    Die Glocken der Salute
hatten gerade zweimal geschlagen, als Tron und Bossi an den
Fondamenta degli Incurabili aus der Polizeigondel stiegen. Die Luft
war feucht, regengeschwängert und der Himmel über der
Stadt mit schiefergrauen Wolken bedeckt. Ein Raddampfer, an dessen
Heck eine griechische Flagge wehte, zog eine Schleppe aus
weißem Wasser hinter sich her, und Tron fragte sich
unwillkürlich, was mit einer treibenden Leiche passierte, wenn
sie in die Schaufelräder eines Raddampfers geriet. Sie hatten
dort angelegt, wo auch die Leiche angeschwemmt worden war, an der
untersten von sieben Stufen, die zu den Fondamenta
hinaufführten. Grüne Algen

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