Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
musste und alles dagegen sprach, die
Sache in
Wien zu proben. Er hatte Rebecca im letzten Herbst auf einem
Tanzvergnügen der mosaischen Gemeinde in Grinzing
kennengelernt. Drei Monate später waren sie verlobt, im Mai
dieses Jahres würden sie heiraten. Rebecca war eine gute
Partie und seine Firma praktisch pleite. Dass er in diesem Februar
des Jahres 1864 nach Venedig reisen musste (er hatte heute
Vormittag mit einem Dr. Lionardo vom Ognissanti verhandelt), war ein
glücklicher Umstand. Hier bot sich die letzte Gelegenheit, die
entsprechenden Kenntnisse zu erwerben, bevor in der
Hochzeitsnacht die Sache auf dem Programm
stand.
Natürlich war er
diese Verbindung aus finanziellen Gründen eingegangen, aber es
war nicht so, dass er seine Verlobte verabscheute. Mit ihrer
rundlichen Figur, den haselnussbraunen Augen und ihrem
herzförmigen Mund war sie eine reizvolle junge Frau.
Allerdings hatte er festgestellt, dass sich sein Verlangen,
Zärtlichkeiten mit ihr auszutauschen, in Grenzen hielt. Frauen
hatten ihn immer schon irritiert, aber er hatte gelernt, seine
Unsicherheit hinter der Maske eines Salonlöwen zu
verbergen.
Zu den Offizieren
hatten sich jetzt drei junge Damen gesellt, zwei Brünette und
eine Blondine. Der Kaiserjäger sagte etwas zu der einen
Brünetten, und die brach in Gelächter aus. Es war klar,
was die Offiziere von den Damen wollten, und er bewunderte die
Unbefangenheit, mit der sie die Sache in die Hand nahmen. Manchmal
hatte er den Verdacht, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Aber was?
Handelte es sich nur um eine gewisse erotische Trägheit? Oder
war es möglich — an diesem Punkt pflegten sich seine
Überlegungen jedes Mal zu einem gedanklichen Flüstern
herabzusenken —, war es möglich, dass sich tief in
seinem Inneren das griechische Laster verbarg? Wie war es
sonst zu erklären, dass er immer wieder an den rehäugigen
Piccolo denken musste, der ihm im Speisesaal des Regina e Gran
Canal heute Morgen den Kaffee serviert hatte? Und dass er wie ein
Backfisch errötet war, als sich beim Einschenken kurz ihre
Hände berührt hatten?
Es war nicht das erste
Mal, dass er solche Erlebnisse hatte, aber er hatte es immer
vermieden, länger darüber nachzusinnen. Was wäre,
wenn er, da er sich nun schon einmal in Venedig aufhielt, seiner
Neigung einmal auf den Grund ginge? War dies nicht schon immer die
Stadt, in der jedes Tierchen sein Pläsierchen fand? Aber nein
— ihm fehlte der Mut. Es brachte nichts, solchen Gedanken
nachzuhängen. Vor allen Dingen lenkten sie ihn von der
eigentlichen Aufgabe ab, eine geeignete Person ausfindig zu machen,
ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen und eine Verabredung zu
treffen. Sich pünktlich am Ort der Verabredung —
vermutlich ein Stundenhotel — einzufinden, das Zimmer zu
betreten, zu bezahlen und dann ...
Er seufzte, schloss
die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie es nach der
Bezahlung weiterging. Zog sie sich zuerst aus? Zogen sie
sich gleichzeitig aus? Oder zog er sie aus? Würde er
sich durch ein Dickicht von Haken, Knöpfen und Ösen
kämpfen müssen? Löschte man das Licht, wenn es
zur Sache kam? Redete man dabei? Alles dies
waren Fragen, die vor der Hochzeitsnacht beantwortet werden
mussten.
Als er die Augen
wieder öffnete, sah er, wie sich die kleine Gruppe vor ihm
auflöste. Die beiden kroatischen Leutnants verschwanden mit
zwei der Kokotten auf der Tanzfläche. Der Kaiserjäger
schien einen Bekannten in der Menge entdeckt zu haben und bewegte
sich winkend in Richtung des Ausgangs. Zurück blieb die
Blondine, die jetzt kaum eine Armeslänge von ihm entfernt am
Tresen stand. Da ihr Blick auf das Champagnerglas gerichtet war,
das sie vor sich abgestellt hatte, konnte er in aller Ruhe ihr
Profil betrachten: eine sanft gewölbte Stirn, gerade Nase,
darunter volle Lippen und ein leicht hervorspringendes Kinn. Kaum
Schminke, wenig Lippenrot, nur eine Andeutung von Rouge - es
fehlten alle weiblichen Attribute, die ihn immer schlagartig
einschüchterten. Für eine Frau, deren
Geschäftsgrundlage darin bestand, die Aufmerksamkeit von
möglichst vielen Männern auf sich zu ziehen, wirkte sie
erstaunlich unauffällig.
Er trank noch einen
Schluck Champagner und stellte überrascht fest, dass
irgendetwas in ihm sich dazu entschlossen hatte, sie anzusprechen.
Seine Züge, die alkoholbedingt verrutscht waren, nahmen wieder
den Ausdruck eines Salonlöwen an. Er warf einen prüfenden
Blick in den Spiegel und war mit seinem Aussehen zufrieden. Dann
holte er
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