Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
dottore?»
    Wie immer bei Fragen,
die man nicht präzise beantworten konnte, sah Dr. Lionardo
Tron an, als hätte der ihm gerade einen unsittlichen Antrag
gemacht. «Vielleicht drei oder vier Tage», gab er
schließlich zur Antwort.
    Tron lächelte
schwach. «Wann habe ich den
Sektionsbericht?»
    «Morgen
früh.» Dr. Lionardo bückte sich, griff nach seiner
Tasche und wandte sich zum Gehen. «Aber erwarten Sie keine
Überraschungen.»
    *
    «Sie hatten
recht, Commissario», sagte Bossi, als sie eine halbe Stunde
später wieder in der Gondel saßen. «Grassi war
definitiv verrückt. Er war noch verrückter, als wir
dachten.»
    Zu Füßen
des Ispettore stand der Holzkasten mit den geheimnisvollen Gelatine-Trockenplatten und der Kasten mit der
Kamera. Das hölzerne Stativ - wieder in seinem Futteral aus
Segeltuch - lag auf Bossis Knien und sah aus wie ein Regenschirm,
den Tron jetzt gerne über seinem Kopf aufgespannt
hätte.
    Es hatte angefangen zu
nieseln, und der Regen tropfte von der Krempe des Zylinderhutes auf
seinen Gehpelz herab. Tron spürte plötzlich einen
gewaltigen Appetit. Auf ein Stück Torte! Dick wie eine
Familienbibel! Offenbar war ihm der Anblick der Wasserleiche nicht
auf den Magen geschlagen.
    «Sie haben also
keinen Zweifel daran, dass es Grassi war, der diese Frau auf dem
Gewissen hat», sagte Tron. Es blieb unklar, ob es sich dabei
um eine Feststellung oder um eine Frage handelte.
    Bossi schüttelte
den Kopf. «Es ist eindeutig Grassis
Handschrift.»
    Das Wort Handschrift kannte Tron in diesem
Zusammenhang nicht, fand es aber anschaulich und passend. Er
vermutete, dass Bossi es in einer kriminalistischen Fachzeitschrift
aufgeschnappt hatte. «Dann wäre der Fall Ihrer Ansicht
nach also klar», sagte er.
    Bossi nickte.
«Offenbar hat Grassi zwei Morde in kurzer Zeit verübt.
Zuerst die Frau, die wir eben gefunden haben, dann Signorina
Calatafimi.»
    «Der Fall mag
vielleicht gelöst sein», sagte Tron, «aber das
heißt noch lange nicht, dass er abgeschlossen
ist.»
    «Wie meinen Sie
das?»
    «Dass niemand
weiß, wie viele Leichen womöglich noch in der Lagune
treiben. Mit Würgemalen und einem Schnitt unterhalb des
Bauchnabels.»     
    «Wollen Sie
damit sagen, dass Grassi vor dem Mord auf der Gondel nicht
nur eine Frau getötet
hat?»
    «Denkbar
wäre es», sagte Tron. «Mit dieser Leiche haben wir
auch nicht gerechnet.»
    «Was könnte
Grassi für ein Motiv gehabt haben, diese Frau zu
töten?»
    Tron zuckte die
Achseln. «Wir wissen nicht einmal, wer sie ist. Es ist zwar
wahrscheinlich, dass es sich um denselben Täter handelt; die
Frage ist nur, ob es tatsächlich Grassi war.»
    Bossi sah Tron
irritiert an. «Wenn es derselbe Täter war, dann war es Grassi,
Commissario.»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Sie vergessen, dass es bisher keinen Beweis
dafür gibt, dass Grassi Signorina Calatafimi getötet hat.
Sein Selbstmord und die anatomischen Blätter an der Wand
lassen es nur vermuten.»
    Bossi sah Tron
erschrocken an. «Das würde bedeuten, dass der Mann
vielleicht ...»
    «Immer noch frei
herumläuft», beendete Tron den Satz.
    Der Ispettore fuhr so
heftig auf seinem Sitz herum, dass das Futteral mit dem Stativ auf
den Boden der Gondel fiel. «Stumm von
Bordwehr?»
    Tron musste lachen.
«Auch das ist eine reine Vermutung, Bossi. Im Moment sollten
wir noch davon ausgehen, dass Grassi diese Frau getötet
hat.»   
    «Was heißt
das für unseren Bericht?»
    «Nichts»,
sagte Tron. «Wir buchen diesen Mord hier vorläufig auf
das Konto von Grassi. Sie müssen den Bericht also nur
ergänzen.»
    «Und was machen
wir, wenn wir noch eine Leiche finden? Wieder mit aufgeschlitztem
Bauch?»
    «Dann fügen
wir dem Bericht eine zweite Ergänzung hinzu», sagte
Tron. «Falls der Todeszeitpunkt nicht nach dem Selbstmord von
Grassi liegt.»
    Bossi sah Tron mit
zusammengekniffenen Augen an. «Und wenn das nicht der Fall
sein sollte?»
    Tron legte den Kopf in
den Nacken und blickte ein paar Möwen nach, die über den
regnerischen Himmel flatterten. Er dachte an den Oberst und wusste,
dass Bossi auch an ihn dachte. «Dann haben wir ein
Problem», sagte er.

19
    Dass sie das
Frühstück — wie es immer hieß — gemeinsam einnahmen, war
natürlich ein Witz. In der Regel saßen sie sich in drei
Metern Entfernung gegenüber, zwischen ihnen, für
astronomische Summen aus Treibhäusern der terra ferma angeliefert, ein
üppiges Blumengesteck, sodass er sich zur Seite lehnen musste,
um seinen padrone zu sehen.

Weitere Kostenlose Bücher