Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Stimmung passte, in der er
sich befand.
Natürlich waren
es zuerst ihre blonden Haare gewesen, die ihn entzückt
erstarren ließen. Als er einen Augenblick später sah,
dass sie grüne Augen hatte, war das Tier in ihm augenblicklich
erwacht, so als hätte man einen Eimer Wasser über einen
Schlafenden geschüttet. Er konnte die Bestie direkt vor sich
sehen: wie sie sich ruckartig aufsetzte, die Augen groß wie
Suppenteller wurden und sie die Zähne fletschte. Hin und
wieder kam es vor, dass er in solchen Momenten die Kontrolle
über seine Mimik verlor, er albernerweise ebenfalls den Rachen
aufriss, sein Gebiss bleckte und ein brünstiges Geheul
ausstieß. Auch vorhin war es ihm so ergangen — oder: Es
wäre ihm fast so ergangen, denn es war ihm
gerade noch gelungen, seinen weit aufgerissenen Mund als
Gähnen zu tarnen und das Geheul mit einem künstlichen
Hustenanfall zu überdecken. Was die Signorina offenbar als
Zeichen von nervöser Aufgeregtheit verstanden hatte, denn ihr
ohnehin mitleidiger Gesichtsausdruck hatte sich noch
verstärkt.
Also morgen Abend. Sie
hatten sich in einer kleinen pensione an den Zattere
verabredet, die sich Seguso nannte. Er würde am
Nachmittag einen ersten Blick auf das Gebäude werfen, danach
in aller Ruhe einen Kaffee an der Piazza trinken und
anschließend, bevor er sich in die pensione begab, die
erforderlichen Werkzeuge holen: Messer, Lederriemen und Riechsalz.
Es würde kinderleicht sein.
17
Ignaz Zuckerkandl,
Fabrikant chirurgischer Messer und nicht mehr ganz nüchtern,
lehnte sich an den Marmortresen des Mulino Rosso und warf einen
lässigen Blick in den riesigen Spiegel hinter dem Tresen. Im
Saal drehte sich zu den Klängen eines Walzers die übliche
Mischung aus Offizieren, Fremden, Einheimischen und grell
geschminkten Kokotten. Zuckerkandl, ein Musikkenner, in dessen
Wiener Wohnung auch ein Klavier stand, war sich sicher, dass die
Musiker des Salonorchesters gleichzeitig in verschiedenen Tonarten
spielten, aber er vermutete, dass es hier niemandem
auffiel.
Er trank einen Schluck
Champagner, zündete sich eine Zigarette an und fuhr fort, die
tanzende Menge im Spiegel zu beobachten. Seine spöttisch
herabgezogenen Mundwinkel signalisierten aller Welt, was er von der
Veranstaltung hielt: ganz nett, aber nichts, was einen Mann wie ihn
vom Hocker hauen konnte. Um festzustellen, dass er ein Mann von
Welt war, reichte schon ein Blick auf seine Kleidung. Sein nach der
neuesten Mode geschnittener Frack hatte farblich abgesetzte Galons
an den Hosenbeinen, der weiße Seidenschal ließ ihn wie
den Habitué eines Pariser Cafés wirken. Er bot das
Bild eines Mannes, der alles gesehen hat und den nichts mehr
erschüttern kann.
Auf dem Kopf trug er
einen Dreispitz aus schwarzer Pappe, vor dem Gesicht eine
samtbezogene schwarze Halbmaske. Beides hatte er an der Rezeption
seines Hotels erstanden, wo ihm ein hilfreicher Portier auch die
Adresse des Mulino Rosso genannt hatte. Natürlich hätte
er den Portier bitten können, ihm bei seinem Problem
behilflich zu sein, aber er zog es vor, es allein zu
lösen.
Als zwei Leutnants der
kroatischen Jäger und ein Oberleutnant der Innsbrucker
Kaiserjäger sich dem Tresen näherten, trat er
höflich zur Seite und registrierte befriedigt den
anerkennenden Blick, mit dem der Kaiserjäger die Galons an
seinen Hosen streifte. Er wusste, was der Oberleutnant dachte: Hier
war jemand, der sich nach dem Besuch eines mondänen Balls
unter das Volk mischte — ein kraftstrotzender Salonlöwe
auf der Suche nach einer leckeren Gazelle.
In Wahrheit hatte er
die letzten drei Stunden in seinem Hotelzimmer verbracht, die
Füße in einer Wanne mit heißem Wasser, in dem eine
Handvoll Epson-Salz aufgelöst war. Nachdem er zwei Tage lang
intensiv die Stadt und ihre speziellen Möglichkeiten erkundet
hatte — er war immer im letzten Moment zurückgeschreckt
—, hatte sich auf seinem rechten Fußrücken ein
rötlicher Höcker gebildet, der bei jedem Schritt
schmerzhaft gegen die Innenseite seines Stiefels drückte.
Seine Versuche, den Höcker mit kalten Umschlägen zu
behandeln, hatten nicht gefruchtet, und so hatte der Hotelarzt ihm
ein heißes Fußbad mit Epson-Salz verschrieben. Und
tatsächlich, nach zwei Stunden war die Schwellung abgeklungen.
Allerdings nässte sie jetzt. Es wäre besser, die Socken
anzubehalten, wenn es zur Sache kam.
Mein Gott, die
Sache. Die
Sache war die, dass er es noch nie getan hatte. Dass er es vor
seiner Hochzeit endlich tun
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