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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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machten die steinerne Treppe
glatt wie eine Eisfläche, sodass Tron vorsichtig einen
Fuß vor den anderen setzte, um nicht zu
stürzen. 
    Die Nachricht, dass
ein Spaziergänger an den Zattere auf eine Leiche
gestoßen war, hatte Tron und Bossi in der Questura erreicht,
als sie gerade damit beschäftigt waren, dem Bericht für
Spaur den letzten Schliff zu geben. Sie waren darin
übereingekommen, dass es am besten wäre, sich auf die
Schilderung der Fakten zu beschränken, den Bericht aber
zugleich so zu verfassen, dass die Schlussfolgerung für einen
aufmerksamen Leser auf der Hand lag: nämlich dass es sich hier
nicht um einen Mord, sondern um eine Art Unfall
handelte.
    Sergente Caruso von
der Wache auf der Piazza hatte die Botschaft überbracht, und
Tron hatte den Verdacht, dass der ursprüngliche Wortlaut
— wie bei einer Flüsterpost — unkontrollierten
Veränderungen anheimgefallen war. Ob die Leiche eine Frau oder
ein Mann war, war unklar geblieben, ebenso, ob es sich um das Opfer
eines Gewaltverbrechens handelte oder lediglich um einen
Ertrunkenen. Vorsichtshalber hatte Tron Sergente Caruso zu Dr.
Lionardo ins Ognissanti geschickt, und dann waren sie, nachdem
Bossi die Ausrüstung für seine Tatortfotografien zusammengestellt
hatte, eine halbe Stunde später in einer Polizeigondel
aufgebrochen.
    Die Leiche lag auf den
grauen Steinplatten des Kais, dicht neben der obersten Stufe. Dr.
Lionardo, der offenbar sofort aufgebrochen war, als ihn die
Nachricht erreicht hatte, war bereits vor Ort. Er kniete neben der
Leiche, und als er Tron sah, erhob er sich und nickte
stumm.
    Bossi nahm in ein paar
Metern Entfernung seine Kamera aus dem Holzkasten, wobei er es
vermied, einen Blick auf den toten Körper zu werfen. Tron
konnte verstehen, dass der Ispettore es vorzog, die Leiche erst
durch die Mattscheibe der Kamera zu betrachten, im sicheren Schutz
des schwarzen Tuches.
    Leichen, die man aus
dem Wasser fischte, boten nie einen erfreulichen Anblick, und diese
hier machte keine Ausnahme. Jedenfalls handelte es sich, so viel
war auf den ersten Blick zu erkennen, um eine Frau. Sie war —
bis auf ein schmales goldenes Armband, das man schlecht als
Kleidungsstück bezeichnen konnte — vollständig
nackt. Das Wasser hatte ihre Haut grau ausgelaugt und den
Körper anschwellen lassen, trotzdem wirkte die Frau schlank
und zierlich. Nicht zu übersehen waren die Würgemale an
ihrem Hals, zwei schwarze, an den Rändern
unregelmäßig auslaufende Flecken. Und ebenso wenig
konnte man den tiefen Schnitt unterhalb ihres Nabels
übersehen, der als dunkelgrauer Riss in der Haut klaffte. Ihre
hellen Haare, in denen sich ein wenig Seegras verfangen hatte,
umgaben ihren Kopf wie ein Helm. Vom Lagunenwasser war auch ihr
Gesicht aufgedunsen, und Nasenflügel, Lippen und Augenlider
waren in kleine graue Polster verwandelt. Darüber, dass sie
auf eine gewaltsame Art und Weise umgekommen war, konnte kein
Zweifel bestehen.
    Aber wie lange hatte
sie im Wasser getrieben? Welchen Weg hatte ihr Leichnam
zurückgelegt? Und wo war sie gestorben? Auf irgendeiner der
zahlreichen Inseln, die es in der Lagune gab, oder hier in Venedig?
Denkbar war, dass die Ebbe den toten Körper in die offene
Lagune gezogen hatte und die Leiche dann, vielleicht erst kurz vor
der Punta Sabbioni, von einer Gegenströmung erfasst worden
war. Wenn dieses Spiel sich wiederholt hatte, hatte es ein paar
Tage dauern können, bevor sich die Leiche schließlich an
einem Holzpfahl im Giudecca-Kanal verfangen hatte.
    Tron, der neben der
Toten in die Knie gegangen war, erhob sich und registrierte, dass
selbst Dr. Lionardo, der beim Anblick einer Leiche in der Regel von
einer bizarren Heiterkeit erfasst wurde, außergewöhnlich
ernst war.
    Die Frage war
überflüssig, aber Tron stellte sie trotzdem. «Ist
sie ertrunken?»
    «Sie ist
erwürgt worden, und dann hat man ihr die Leber
entfernt», sagte Dr. Lionardo.
    «So wie
...?»
    Der dottore nickte. «So wie
bei dem Opfer auf der Gondel. Genauso
professionell.»
    «War sie
gefesselt?»
    Tron hatte weder an
Hand- noch an Fußgelenken der Toten die charakteristischen
länglichen Verfärbungen entdecken können. Ob das
kalte Wasser die Blutergüsse getilgt hatte? Nein, das war
unwahrscheinlich. Denn dann hätte das Wasser auch die
Würgemale am Hals zum Verschwinden gebracht.
    Dr. Lionardo
schüttelte den Kopf. «Nein, sie ist nicht gefesselt
worden.»
    «Und wie lange
hat die Tote im Wasser getrieben? Was schätzen Sie,

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