Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
hinausgelaufen, und im Grunde liebte er
keine Improvisationen. Nicht nur, weil immer jemand im falschen
Moment aufkreuzen konnte, sondern vor allem, weil sie seiner
Ordnungsliebe entgegenliefen. Ordnung, Ordnung, liebe sie
... Eine
platte Lebensweisheit, gewiss, aber er konnte nichts dafür,
dass er sich ihr verschrieben hatte. Er verabscheute
unaufgeräumte Schreibtische, schlampig gepackte Koffer und
— plötzlich fiel ihm wieder der padrone ein — Champagner am
Vormittag. Er hatte es eben gerne ein bisschen proper.
Das war das
Hübsche an der Verabredung, die er für heute Abend
getroffen hatte. Diesmal würde er sich Zeit lassen
können. Keine schnelle Nummer wie im Coupé, keine
hastige Operation wie auf der Gondel. Nein - heute würde ein
langsames Zeitmaß vorherrschen, ein gelassenes adagio
cantabile. Das Motto des Abends
lautete: Gemütlichkeit. Sie würden ein
wenig plaudern, ein Gläschen zusammen trinken, vielleicht ans
Fenster treten und — falls es inzwischen aufgeklart hatte
— gemeinsam die Sterne betrachten. Die Sdertie, Gott, sehen Sie
doch bloß die Sdeme an, würde er dann zu ihr sagen.
Manchmal hatte er den Verdacht, dass das Tier in ihm eine
romantische Ader hatte. Dass sich hinter einer harten Schale ein
weiches Herz verbarg.
*
Es war kurz vor
sieben, als er die Eingangstür der Pensione Seguso nach innen
drückte — nicht ohne vorher seine schwarze Halbmaske
aufgesetzt zu haben. Er hatte sie heute nur gelegentlich
gelüftet. Dass es während der Karnevalssaison durchaus
normal zu sein schien, auch tagsüber maskiert zu sein, kam ihm
entgegen. Inzwischen fühlte er sich ohne Tarnung nackt und
schutzlos.
Er hatte eine
schmierige Absteige erwartet, einen Concierge mit einer Zigarette
im Mundwinkel und einer Schnapsflasche vor sich auf dem Tresen.
Stattdessen fand er sich in der Lobby einer biederen
Familienpension wieder, mit einem Concierge, der so aussah, als
würde er Tabak und Alkohol eher missbilligen. Im Gegensatz zu
den meisten venezianischen Hotels hatte man in der Pensione Seguso
auf die übliche Karnevalsdekoration verzichtet. Weder trug der
Concierge hinter dem schlichten Empfangstresen ein buntes
Hütchen, noch hingen lustige Papierschlangen von der Decke.
Würde man ihn auffordern, die Maske abzunehmen? Mit dem
Hinweis darauf, dass sie nicht dem Stil des Hauses entsprach? Das
ältliche Ehepaar, das gerade den Stadtplan an der Wand
konsultierte, war selbstverständlich nicht
verkleidet.
Er trat an den Tresen,
nannte die Zimmernummer und erhielt die Auskunft, dass sich das
Zimmer im ersten Stock befand. Der Concierge hatte mit keiner
Wimper gezuckt. Während er die Treppe emporstieg,
amüsierte ihn die Vorstellung, dass sich hinter einer biederen
Fremdenpension ein gutgetarntes Stundenhotel verbarg. Die Frau
hatte gestern angedeutet, dass sie gegen neun Uhr einen
weiteren cavaliere auf ihrem Zimmer
empfangen würde, was ihm nur recht sein konnte. Das Tier in
ihm war jetzt hellwach, er spürte, wie es vor Tatendurst
vibrierte. Vor der Tür angekommen, klopfte er und
räusperte sich vernehmlich. Dann hörte er Schritte im
Inneren des Zimmers, und einen Augenblick später öffnete
sich die Tür.
Mein Gott, wie lecker
sie war! Sie trug ein scharf auf Taille geschnittenes Hauskleid,
das knapp über den Knöcheln endete, darunter keine
Strümpfe, an den Füßen türkische Pantoffeln.
Und wieder sah sie ihn mit diesem speziellen Blick an, der ihn
schon im Mulino Rosso amüsiert hatte. Vermutlich hielt sie ihn
für einen Familienvater aus der Provinz. Ob er der erste Mann
war, den sie heute in diesem Zimmer empfing? Nein, das war
unwahrscheinlich. Da eine geblümte Tagesdecke auf dem Bett
lag, war nicht zu erkennen, ob sie die Bettwäsche gewechselt
hatte oder nicht. Im Grunde spielte es keine
Rolle.
Wie erwartet, lief
dann alles wie am Schnürchen. Sie hatten, nachdem die Finanzen
geklärt waren, ein wenig geplaudert und tatsächlich ein
Schlückchen zusammen getrunken. Den Satz mit den Sdernen hatte er nicht
anbringen können, weil die Bestie in ihm zur Eile drängte
und der Himmel außerdem bedeckt war. Als er schließlich
das Messer in
die Hand nahm und sein Tier endlich von der Leine ließ, war
sie noch bei Bewusstsein. Zwar schnürte sich schon der
Lederriemen um ihren Hals, und sie rang röchelnd nach Atem -
aber sie lebte noch und versuchte verzweifelt, sich zu befreien. In
die krampfhaften Zuckungen ihres sterbenden Körpers hinein
setzte er den ersten Schnitt
Weitere Kostenlose Bücher