Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
sich auf plüschigen Sofas
rekelten, waren einfach albern. Schließlich war er, um seiner
Nervosität Herr zu werden, ziellos durch die Stadt marschiert,
bis er lange vor der verabredeten Zeit in dem Café gelandet
war.
Als die Glocken der
Gesuati neun schlugen, stand er auf und zahlte. Sein Magen
fühlte sich flau an, und seine Beine kamen ihm schwer und
unbeweglich vor, so als würde er Schuhe aus Blei tragen. Beim
Verlassen des Cafés hatte er den irrationalen Wunsch, dass
irgendetwas einträte, was ihn daran hinderte, zur Sache zu
kommen. Eine plötzliche Sturmflut,
ein Brand in der Pensione Seguso, der Einschlag eines Meteors. Doch
als er im Freien stand und sich seine Halbmaske über das
Gesicht streifte, geschah nichts.
Es überraschte
ihn nicht, dass die pensione auch in der Lobby den
Anschein wahrte. Hier gab es keine Petroleumlampen mit roten
Schirmen, keine Aktbilder an den Wänden und keine
kartenspielenden Zuhälter. Außer dem Concierge hinter
dem Empfangstresen hielten sich noch zwei weitere Personen in der
Lobby auf, ein Mann und eine Frau, die sich schweigend
gegenübersaßen und wahrscheinlich darauf warteten, dass
ihr Zimmer frei wurde. Der Mann schien kurz vor dem Pensionsalter
zu stehen und die Frau, die er vermutlich beim Karneval aufgegabelt
hatte, war auch nicht mehr die Jüngste. Dass der alte Knabe
zur Tarnung einen Baedeker in der Hand hielt, war ein hübsches
Detail. Ein naiver Beobachter hätte die beiden für ein
Ehepaar halten können, aber ihn konnten sie nicht
täuschen. Als er dem Concierge die Zimmernummer nannte, war
der kurz irritiert, verwies ihn dann aber mit gleichgültiger
Miene in den ersten Stock.
Merkwürdig,
dachte er, als er einen Moment später vor der Zimmertür
stand, wie ruhig er auf einmal war. Kein rasender Puls, kein
heißes Gesicht unter der schwarzen Halbmaske, er war kalt wie
ein Fisch. War das so auf dem Schafott? Wurden alle Leute, kurz
bevor das Fallbeil herabsauste, kalt wie Fische? Noch
merkwürdiger war allerdings das sägende
Schnarchgeräusch hinter der Tür. Oder hatte er sich
getäuscht? Nein, hatte er nicht. Wenn er sein Ohr ans
Schlüsselloch hielt, konnte er es deutlich hören. Da
schnarchte jemand. Was nach Lage der Dinge nur die junge Dame sein
konnte. Ignaz Zuckerkandl unterdrückte einen hysterischen
Lachanfall. Dann holte er tief Atem, räusperte sich und
klopfte.
Natürlich wurde
sie nicht sofort wach. Niemand, der so laut schnarchte, wurde
sofort wach. Erst nachdem er zum dritten Mal geklopft hatte, brach
das Schnarchen ab. Schließlich näherten sich Schritte
der Tür - die schweren Schritte einer Frau, die eben noch im
Tiefschlaf gelegen hatte. Er nahm sein Ohr vom Schlüsselloch
und richtete sich auf. Als der Türflügel nach innen
schwang, dauerte es ein paar Sekunden, bis sein Verstand begriff,
was seine Augen sahen.
Es war ein Mann, der
ihm geöffnet hatte. Der Mann stand so dicht an der Tür,
dass sie einander aus nächster Nähe wie ungleiche
Spiegelbilder anblickten. Ebenso wie er trug der Mann eine schwarze
Halbmaske, und ebenso wie er war er mit einem dunkelbraunen Gehrock
bekleidet.
Eine peinliche
Situation, die sein Spiegelbild allerdings nicht zu irritieren
schien. Der Mann trat einen Schritt zurück und sagte mit einem
Seitenblick auf das Bett: «Die Signorina schläft. Ich
würde vorschlagen, sie noch ein paar Minuten in Ruhe zu
lassen.» Dann schloss sich die Tür hinter Zuckerkandl,
der in das Zimmer getreten war, und er hörte, wie sich der
Mann eilig entfernte.
Wie hieß es so
schön? Endlich allein. Er stieß einen Seufzer aus, trat
in die Mitte des Zimmers und sah sich um. Zwei Fenster,
zugehängt mit rötlichen Gardinen, davor ein grüner
Plüschsessel, über dessen Lehne ein Kleid hing. Dann ein
geräumiges Bett, flankiert von zwei Nachttischen, auf denen
Kerzenleuchter brannten. Über dem Bett hing eine Kopie
der Venus
von Urbino, zweifellos dort angebracht, um
müde Kunden auf Trab zu bringen. Es roch nach Moschus und
abgestandenem Zigarettenrauch.
Die Frau lag auf der
linken Seite des Bettes und war fast vollständig unter der
Decke verschwunden. Sie hatte den Kopf auf die Seite gelegt, sodass
außer ihrer Wange und ihren blonden Haaren nichts von ihr zu
sehen war. Nur ihre linke Hand hatte sich unter der Decke
hervorgeschoben, die Finger hingen schlaff von der Bettkante herab.
Plötzlich wirkte sie auf ihn wie ein ermüdetes Kind, das
zu lange aufgeblieben war. Er sah auf die Uhr. Er würde sie
noch zehn
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