Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Oberst?»
Bossi
nickte.
«Dann wäre
die Angelegenheit Sache der Militärpolizei», sagte Tron.
«Das Problem ist, dass wir nicht den geringsten Beweis
vorlegen können.»
Bossi dachte einen
Moment lang nach. Dann sagte er: «Wissen Sie, wo der Oberst
wohnt?»
«Spaur sagt, bei
Toggenburg.»
«Im Palazzo
Benzon?»
«Stumm gilt als
Toggenburgs Protégé», sagte Tron.
«Angeblich frühstücken sie
zusammen.»
«Wir
könnten ihn trotzdem ...»
Tron unterbrach Bossi
mit einer Handbewegung. «Den Oberst überwachen? Wenn das
jemand erfährt, sind wir erledigt.»
«Und was machen
wir?»
«Erst mal
herausfinden, wer diese Frau ist», sagte Tron. «Und
dann sehen wir weiter. «Übrigens», setzte er
hinzu, «können wir noch etwas über den Mann sagen:
Er ist vermutlich sehr eitel. Denken Sie an die Schublade. Die
Tatsache, dass er seine Spielchen mit diesem Organ treibt, kann nur
bedeuten, dass er sich über uns lustig macht. Er will
demonstrieren, dass er klüger als die venezianische Polizei
ist. Wahrscheinlich träumt er davon, dass die Gazzetta über den Fall
berichtet. Und mich namentlich erwähnt.»
«Das hat sie
bereits», sagte Bossi.
Trons Kopf schnellte
nach links. «Wie bitte?»
Bossi machte ein
unglückliches Gesicht. «Drei Spalten auf der zweiten
Seite. Überschrift: Brutaler Mord auf einer
Gondel. Ihr
Name wird auch erwähnt.»
Tron spürte, wie
ihm plötzlich heiß wurde. Und dann wieder kalt. Und dann
wieder heiß. «Normalerweise würde die Zensur einen
solchen Bericht nie passieren lassen», sagte er. «Schon
gar nicht während der Karnevalszeit. Irgendjemand muss sich in
die Tätigkeit der Zensurbehörde eingemischt haben.»
Er atmete tief durch. «Was wird Spaur wohl dazu sagen?»
Eigentlich lag es auf der Hand. Er wusste genau, was der
Polizeipräsident zu diesen Verbrechen sagen würde.
«Der Baron ist heute Morgen zusammen mit der Baronin nach
Verona gefahren», fuhr Tron fort. «Er kommt erst
Montagnachmittag wieder nach Venedig. Dann wird er die
Gazzetta lesen, und wir
müssen ihm mitteilen, dass sich ein dritter Mord ereignet
hat.» Tron schloss entnervt die Augen. «Wenn es nicht
ebenfalls bereits in der Zeitung steht.»
22
Ignaz Zuckerkandl
erhob sich von seiner knarrenden Bettstatt, schlug den Kragen
seines Gehpelzes nach oben und versuchte, die kleinen
Dampfwölkchen zu ignorieren, die aus seinem Mund
strömten. Das Bett stand an der Wand eines winzigen Zimmers,
dessen einziges Fenster auf den Rio della Fava hinausging, und
natürlich reichte der lächerliche scaldino nicht aus, um den Raum
zu erwärmen. Einen Kleiderschrank gab es nicht, stattdessen
waren ein paar Haken an der Wand befestigt worden. Das einzige
Möbelstücke außer dem Bett war ein Waschtisch, auf
dem er seinen Musterkoffer mit den chirurgischen Messern abgestellt
hatte. Das Zimmer war deutlich überteuert; dafür hatte
der Portier darauf verzichtet, die Personalien
aufzunehmen.
Tatsächlich hatte
er sich in den letzten vierundzwanzig Stunden so verhalten, als
hätte er die Frau umgebracht und nicht der
Bursche, der ihm die Tür geöffnet hatte. Wenn es der
venezianischen Polizei gelänge zu rekonstruieren, was er nach
seinem Besuch in der Pensione Seguso getan hatte, würde sie
unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass es sich bei dem Täter
nur um ihn handeln konnte.
Er wandte sich vom
Fenster ab, trat vor den Waschtisch und klappte den Musterkoffer
mit den chirurgischen Messern auf. Da lagen sie blitzend vor ihm,
ordentlich aufgereiht in ihren Vertiefungen aus grünem Samt:
zwei Dutzend große und kleine Messer, alle verschieden
geformt und jeweils unterschiedlichen chirurgischen Zwecken
dienend. Der Musterkoffer hatte etwas Reales, etwas
Kaufmännisch-Solides. Er erinnerte ihn daran, dass er einmal
ein normales Leben geführt hatte, bevor dieser Albtraum
über ihn hereingebrochen war.
Es war kurz nach zwei,
und vermutlich hatte ein Zimmermädchen die Leiche heute Morgen
entdeckt. Er versuchte sich vorzustellen, in welcher Besetzung die
Polizei den Tatort betreten hatte: ein Commissario und zwei
Sergenti, denen beim Anblick der Leiche garantiert schlecht
geworden war. Natürlich würden sie zuerst den Concierge
befragen. Aber was hatte der gesehen? Zwei maskierte Herren, die
sich kaum voneinander unterschieden. Das brachte sie nicht weiter.
Also würden sie versuchen, die Identität der Frau zu
ermitteln, und dann früher oder später darauf
stoßen, dass die Signorina ihre
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