Teufelsstern
PROLOG
Die Augen des alten Mannes leuchteten rot, denn die Flammen des Feuers spiegelten sich in ihnen. Die Sonne ging unter, und die Schatten wurden immer länger. Weit entfernt kreiste ein riesiger Vogel – ein Kondor – und stieß dann herab zur Erde. Es herrschte Totenstille. Die Nacht war nur noch einen Atemzug entfernt.
»Er wird kommen«, sagte der alte Mann. Er sprach eine merkwürdige Sprache, die nur noch wenige Menschen beherrschten. »Wir brauchen nicht nach ihm zu schicken. Er wird auch ohne unser Zutun hierher finden.«
Der alte Mann erhob sich mühsam und ging, gestützt auf seinen selbst geschnitzten Gehstock, bis zum Rand der Steinterrasse, auf der er gesessen hatte. Von dort aus starrte er hinab in die Schlucht, die so tief war, dass sie kein Ende zu nehmen schien. Sie war wie ein Riss im Planeten, der vielleicht schon vor Millionen von Jahren entstanden war. Er schwieg eine ganze Weile. Hinter ihm saß ein Dutzend Männer, das darauf wartete, dass er fortfuhr. Keiner von ihnen rührte sich. Keiner wagte, ihn aus seinen Gedanken zu reißen.
Endlich drehte er sich wieder zu ihnen um.
»Der Junge ist auf der anderen Seite der Erde«, sagte er. »Er lebt in England.«
Einer der Männer wurde unruhig. Er wusste, dass es ihm nicht zustand, Fragen zu stellen, aber er konnte nicht anders. »Wollen wir denn einfach auf ihn warten?«, fragte er vorwurfsvoll. »Wir haben kaum noch Zeit. Und selbst wenn er kommt, wie soll er uns helfen? Er ist doch nur ein Kind!«
» Das verstehst du nicht, Atoc«, sagte der alte Mann. Es war nicht zu erkennen, ob er verärgert war, denn er ließ sich nichts anmerken. Er wusste, dass Atoc erst zwanzig war, fast selbst noch ein Kind. »Der Junge hat die Kraft. Er weiß immer noch nicht, wer er ist oder wie stark er ist. Aber er wird kommen – und zwar rechtzeitig. Seine Kraft wird ihn herführen.«
»Wer ist dieser Junge?«, fragte ein anderer.
Der alte Mann schaute auf zur Sonne. Sie schien wie ein glühender Ball auf dem höchsten Berggipfel zu liegen. Es war der Gipfel des Mandango, des Schlafenden Gottes.
»Sein Name ist Matthew Freeman«, sagte er schließlich. »Und er ist der Erste der Fünf.«
GLÜCKSRAD
Etwas stimmte nicht mit dem Haus in der Eastfield Street.
Die Häuser in dieser Straße sahen alle mehr oder weniger gleich aus: roter Backstein, zwei Zimmer im ersten Stock und ein Wohnzimmer, das entweder links oder rechts von der Haustür lag. An manchen Häusern waren Satellitenschüsseln angebracht, an anderen hingen Blumenkästen voller Sommerblumen. Aber wenn man oben auf dem Hügel stand und auf die Straße hinunterblickte, fiel ein Haus aus dem Rahmen. Es sah aus, als wäre es von einer Krankheit befallen und müsste aus der Reihe gerissen werden wie ein fauler Zahn.
Im Vorgarten türmte sich alles mögliche Gerümpel, und die Mülltonne am Tor lief über. Daneben standen schwarze Säcke voller Abfall, den die Bewohner nicht mehr in die Tonne gekriegt hatten. Das kam in der Eastfield Street öfter vor. Auch dass die Vorhänge immer zugezogen waren und im Haus nie Licht brannte, war nichts Besonderes. Doch da war dieser Gestank. Schon seit Wochen roch es, als wäre die Toilette verstopft. Inzwischen war es so schlimm, dass die Leute die Straßenseite wechselten, wenn sie an dem Haus vorbeigehen mussten. Das ganze Grundstück schien befallen zu sein. Der Rasen im Vorgarten wirkte gelb und löcherig. Die Blumen waren verwelkt und dann von Unkraut überwuchert worden. Sogar die roten Backsteine sahen jetzt viel blasser aus.
Die Nachbarn hatten versucht, sich zu beschweren. Sie hatten an die Tür geklopft, doch es hatte niemand aufgemacht. Sie hatten angerufen, doch es hatte niemand abgenommen. Schließlich hatten sie sich bei der Gemeindeverwaltung beschwert, aber es würde natürlich Wochen dauern, bis die etwas unternahm. Auf jeden Fall war das Haus noch bewohnt. Zumindest das wussten die Nachbarn. Sie hatten Gwenda Davis, die Besitzerin, gelegentlich hinter den Netzgardinen hin und her laufen sehen. Und einmal – vor mehr als einer Woche – war sie an einer Nachbarin vorbeigegangen, als sie vom Supermarkt nach Hause hastete. Und es gab noch einen Beweis dafür, dass in Nummer 27 noch Leben war: Der Fernseher lief jeden Abend.
Fast alle in der Straße kannten Gwenda Davis.
Sie hatte nahezu ihr ganzes Erwachsenenleben in diesem Haus verbracht, erst allein, dann mit ihrem Freund Brian Conran, der gelegentlich als Milchmann arbeitete. Aber was
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