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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Ispettore sah Tron
unsicher an. «Was würden Sie machen,
Commissario?»
    Eine interessante
Frage. Tron bezweifelte, dass er in einem Kleid glaubwürdig
aussehen würde. Aber bei Bossis jugendlicher Optik lag der
Fall anders.
    «Wenn ich Sie
wäre», sagte Tron gnadenlos, «würde ich an
meine Karriere denken. Ich würde mich bei Riccardi
kostümieren lassen und eine Runde über die Piazza drehen.
Sie könnten auch im Florian einen Kaffee
trinken.»
    Der Ispettore machte
ein empörtes Gesicht. «Ich soll ohne männliche
Begleitung in ein Café gehen?»
    Tron musste
lächeln. Bossi, der Fanatiker technischen Fortschrittes, war
zugleich gusseisern konventionell. Eine ehrbare Frau, die
unbegleitet ins Florian ging, um dort einen Kaffee zu trinken?
Undenkbar! Dass es auch etwas mit Fortschritt zu tun hatte, wenn
Frauen ohne Herrenbegleitung ein Café aufsuchten, wäre
dem Ispettore nie in den Sinn gekommen. Engländerinnen und
Amerikanerinnen traf man jetzt immer öfter allein in den
Cafés an der Piazza. Bei den Venezianerinnen, da waren sich
Tron und die Principessa einig, bestand auf diesem Gebiet noch ein
gewisser Nachholbedarf. Und natürlich auch bei den
venezianischen Männern.
    «Ein moderner
Polizeibeamter», sagte Tron, «muss flexibel
sein.»
    «Sie meinen
also, ich sollte ...»
    Tron nickte.
«Probieren Sie es aus. Und wenn Sie mit dem Kostüm
klarkommen, drehen Sie heute Nacht eine Runde durch die
einschlägigen Etablissements.»

35
    Um den rein
dienstlichen Charakter seines Besuches zu demonstrieren, hätte
Ispettor Bossi den Kostümverleih lieber in Uniform betreten.
Andererseits wollte er um keinen Preis auffallen. Eigentlich
absurd, dachte er. Für Napoleon oder Julius Cäsar
würde niemand den Kopf drehen, aber der Anblick eines
uniformierten Polizisten konnte in einem Kostümverleih leicht
Unbehagen auslösen. Was durchaus verständlich war, denn
es gab erstaunlich viele cavalieri, denen es
Vergnügen bereitete, einen Maskenball in einer Krinoline zu
besuchen. Unklar blieb dabei immer, ob die Entscheidung, ein Kleid
zu tragen, eine Folge karnevalistischer Enthemmung war oder ob sich
ein tieferes, unter heimatlichen Umständen scharf
unterdrücktes Bedürfnis dahinter verbarg. Würde man
auch bei ihm den Verdacht haben, dass sich ein lange
unterdrücktes Bedürfnis Bahn brach? Bossi nahm sich vor,
Signor Riccardi sofort darauf hinzuweisen, dass er aus rein
dienstlichen Gründen ein Kleid benötige.
    Riccardis
Kostümverleih befand sich zwischen einem Maskenladen und einer
Trattoria, und als Bossi das Geschäft kurz nach sieben Uhr
betrat, sah er sofort, dass es sich um ein Etablissement gehobenen
Zuschnitts handelte. Der Geschäftsraum erstreckte sich
über die gesamte Grundfläche des Hauses und wurde von
Dutzenden von Petroleumkandelabern erhellt, wie Bossi sie nur aus
dem Teatro Fenice kannte. Überall an den Wänden waren
mannshohe Spiegel angebracht, und in der Mitte des Raumes standen
zwei Schneiderpuppen mit maskierten Köpfen, die offenbar
Cäsar und Kleopatra darstellen sollten. Auf dem Fußboden
lagen, höchst ungewöhnlich für Venedig, kostbare
Teppiche, und passend dazu schien sich das Publikum vorwiegend aus
den großen Hotels zu rekrutieren. Es roch nach Parfum und
frisch gebrühtem Kaffee. Bossi fand die Atmosphäre
angenehm und aufregend zugleich.
    Zwei Paare, laut und
lebhaft französisch sprechend, standen vor den Wandspiegeln,
während zwei junge Schneiderinnen neben den jeweiligen Damen
knieten und mit Nadel und Faden letzte Hand anlegten. Die Damen
trugen seidene Reifröcke im Stil Marie Antoinettes, die Herren
gepuderte, hinten zu einem Mozartzopf zusammengebundene
Perücken, dazu Kniebundhosen und Schnallenschuhe. Ein drittes
Pärchen, ebenfalls in Kostümen des 18. Jahrhunderts, war
gerade im Begriff, das Geschäft zu verlassen. Bossi vermutete,
dass es sich bei dem Signore in schwarzem Gehrock, der ihnen die
Tür aufhielt, um den Prinzipal des Etablissements, Signor
Riccardi, handelte. Der sich, nachdem er die Tür hinter dem
Pärchen geschlossen hatte, seinem neuen Kunden mit einem
verbindlichen Lächeln näherte.
    Bossi erwiderte das
Lächeln. «Signor Riccardi?»
    Signor Riccardi
verneigte sich.
    «Ich bin
Ispettor Bossi vom Kommissariat San Marco», sagte
Bossi.
    Wenn Riccardi
über den Besuch eines Polizeibeamten irritiert war, dann
zeigte er es nicht. Er zog nur kurz die linke Augenbraue nach oben
und erneuerte sein verbindliches Lächeln. «Was kann ich
für Sie tun,

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