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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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plötzlich sah man das Leben in einem ganz
anderen Licht: Überall waren es die Männer, die den Ton
angaben! Wie angeberisch-maskulin ihm die kaiserlichen Offiziere
auf einmal erschienen, mit ihren wichtigtuerischen
Begrüßungsritualen und ihrem kriegerischen Gerauche! Und
wie aufgeplustert-gockelhaft seine Sergenti über die Piazza
stolzierten! Dass auch der hoch aufragende Campanile einen heftigen
Einschlag ins Männliche hatte, war ihm vorher nie aufgefallen,
obwohl man es wirklich schwer übersehen konnte.
    Zweimal hatten ihn
mitten auf der Piazza Leutnants der Innsbrucker Kaiserjäger
gegrüßt, und ebenfalls zweimal hatten ihm Leutnants der
kroatischen Jäger hinterhergepfiffen. Das hatte ihm als Frau
instinktiv gefallen, und er hatte den Herren — jedenfalls den
schmucken Kaiserjägern — ein Lächeln geschenkt.
Weniger erbaulich war eine dreiste Annäherung zweier in
große Karos gekleideter Amerikaner gewesen, die die Nerven
hatten, sich ihm vor der Porta della Carta halb in den Weg zu
stellen und mit ihren Brieftaschen zu wedeln. Als er empört
zurückgewichen war, hatten die Burschen etwas zwischen den
Zähnen gemurmelt und die Achseln gezuckt. Da er kein Englisch
verstand, hatte er nur vermuten können, dass es sich dabei um
etwas Unschickliches gehandelt hatte, und er war kurz davor
gewesen, den Flegeln eins mit der ledernen Handtasche
überzuziehen, die ihm Signor Riccardi noch zum Schluss
aufgedrängt hatte.
    Ins Rudolfo hatte es
ihn noch verschlagen, weil es zu seinem dienstlichen Auftrag
gehörte, in einem der einschlägigen Etablissements
wenigstens eine Ehrenrunde zu drehen. Außerdem hatte es ihm
widerstrebt, die weibliche Rolle gleich wieder abzulegen. Das
würde er dem Commissario allerdings morgen nicht
erzählen. Ebenso wenig würde er die weiblichen Gedanken
erwähnen, die über ihn gekommen waren, als er das Rudolfo
betrat. Saß die Frisur korrekt? Hatten Lidstrich und Rouge in
der nächtlichen Feuchtigkeit gelitten? Gab ihm die lederne
Handtasche hier womöglich einen Einschlag ins Omahafte?
Allerdings erfüllte sich seine Erwartung, dass sich alle
möglichen Männer wie Geier auf ihn stürzen
würden, nicht. Was ihn einerseits kränkte, ihm
andererseits die Möglichkeit gab, sich ungestört an den
Ausschank zu begeben und von dort aus - der Haltung wegen ein Glas
in der Hand - einen ruhigen Blick in die Runde zu werfen. Beim
Bestellen war es ihm mühelos gelungen, seine ohnehin nicht
übermäßig tiefe Stimme eine Quart nach oben
rutschen zu lassen. Jedenfalls hatte ihn die Saaltochter hinter dem
Tresen ohne mit der Wimper zu zucken
bedient.   
    Die Position am
Ausschank war gut gewählt. Im Spiegel konnte er sein
Außeres bewundern und zugleich einen großen Teil des
Etablissements im Auge behalten — die um diese Zeit noch
mäßig besetzten Tische, umhereilende Kellner, Paare, die
sich auf der Tanzfläche drehten, und das Salonorchester auf
dem Podium. Dass sich keiner der anwesenden Herren für ihn
interessierte, fing langsam an, ihn zu stören. Ein Lockvogel,
der niemanden anlockte, war einfach albern. Ein glattrasierter
Signore jedoch, der in der Nähe des Orchesterpodiums stand,
hielt seit ein paar Minuten den Kopf in seine Richtung gedreht. Ob
der Mann ihn beobachtete, war schwer zu sagen, denn hinter der
roten Halbmaske waren seine Augen nicht zu erkennen.
    Als der Walzer zu Ende
war und ein Teil der Paare sich dem Ausschank näherte,
beschloss er, sich mit seinem Glas ans Ende des Tresens zu
verziehen. Der Mann mit der roten Maske, eine unauffällige
Erscheinung in dunklem Gehrock, stand immer noch an der gleichen
Stelle, und plötzlich war er sich ganz sicher, dass der
Bursche ihn beobachtete. Ob er ihm signalisieren sollte, dass er
gerne ein kleines Gespräch mit ihm führen würde? Ein
Gespräch, das er morgen Vormittag, wenn er dem Commissario
Bericht erstattete, nicht erfinden musste und das als Beleg seines
Diensteifers gelten konnte? Ich habe mich ansprechen
lassen, Commissario, weil ich einen Augenblick lang
tatsächlich dachte, der Bursche wäre unser Mann. Sie
sagen doch immer, dass es die unwahrscheinlichsten Zufälle
gibt.
    Bossi drehte den Kopf,
nickte knapp und hob grüßend sein Glas. Worauf der Mann
mit der roten Maske ebenfalls sein Glas hob, eine altmodische
Verbeugung andeutete und sich ein wenig hölzern in Bewegung
setzte. Als der Maskierte herangetreten war und seinen Mund zu
einem schüchternen Lachen verzog, gab er plötzlich ein
leises, jaulendes

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