Conan-Saga 09 - Conan und die Strasse der Könige
Destandasis Stimme klang gequält. »Sie kann den Kreis des Heiligen Haines nicht überqueren!«
Conans Augen hatten sich inzwischen dem Dämmerlicht am Waldrand angepaßt. Sein Gehirn registrierte jetzt das, wovor sein Instinkt ihn gewarnt hatte.
Sandokazi trug nur ein schmutziges Hemd. Ihre nackten Beine waren zerkratzt, in ihrem zerzausten Haar steckten Kletten und Zweigstücke von Dornenbüschen. Statt einer kostbaren Perlenkette trug sie eine Hanfschlinge, die in ihre Kehle schnitt – irgend jemandes grausamer Scherz. Ihr Hals wirkte seltsam lang und war oberhalb des Schlingenknotens unnatürlich seitwärts gebogen. Ihre Augen quollen glasig aus den Höhlen und strahlten ungeheure Bosheit aus. Ihre aufgebissenen Lippen waren zu einem tierischen Fletschen verzerrt, und als sie mit den zu Klauen gekrümmten Fingern gegen die unsichtbare Barriere schlug, rochen sie den süßlichen Verwesungsgestank, der von ihr ausging.
»Seht ihr denn nicht?« wiederholte Destandasi mit zitternder Stimme, während sie ansonsten völlig ruhig wirkte. »Sie ist tot! Sie haben sie umgebracht, und Callidios setzte sie auf eure Fährte, damit sie euch tötet. Hättet ihr irgendwo am Fluß euer Lager aufgeschlagen, wäre sie wie das wildeste Raubtier über euch hergefallen. Sie würde uns auch jetzt anspringen, wenn das Böse in den heiligen Hain dringen könnte.«
Santiddio war auf die Knie gesunken und würgte zwischen dem Schluchzen, das sich ihm entrang, als würden glühende Nägel in seine Brust gehämmert.
Conan hob das Schwert, um zuzuschlagen. Sein Gesicht wirkte furchterregend in der Wut, die ihn erfüllte.
»Nein!« Destandasi hielt ihn zurück. »So geht es nicht. Sie ist tot – ein totes Ding ohne eigenen Willen, das von Callidios gelenkt wird. Damit hat der Stygier uns verraten, in welcher Kunst er Meister ist – in der Totenbeschwörung!«
»Was kann ich tun?« knirschte Conan zwischen zusammengepreßten Zähnen.
»Bring Santiddio von hier fort und bleib bei ihm. Es gibt ein Zeichen der Macht, das ich vielleicht benutzen kann, um diesen grauenvollen Zauber zu brechen. Es wäre nicht gut, wenn ihr sehen würdet, was ich tun muß, denn Jhebbal Sag schützt seine Geheimnisse.«
»Ich habe keine Angst!« knurrte Conan. »Ich bleibe, um zu helfen ...«
»Laß mich mit dem allein, was meine Schwester war!« zischte Destandasi. »Hast du ihr nicht bereits genug geholfen?«
Conan unterdrückte eine Erwiderung. Er hob Santiddio auf wie eine zerbrochene Puppe und überließ es Destandasi zu tun, was getan werden mußte.
19. Zum Scheitern geborene Träume
19
ZUM SCHEITERN GEBORENE TRÄUME
Bei Tagesanbruch beerdigten sie Sandokazi im heiligen Hain.
Im Morgengrauen hob Conan das Grab aus. Bei jedem Schwung der Schaufel, mit dem er die Erde hochwarf, knurrte er grimmig. Nach dem Funkeln seiner Augen konnte man meinen, er hiebe auf einen Todfeind ein.
Destandasi wusch den geschändeten Leichnam ihrer Schwester, aus dem sie die unheilige Verhöhnung des Lebens vertrieben hatte, und benutzte ihr Bettlinnen als Leichentuch. Ihr Gesicht war mit neuen Linien gezeichnet, die, wie Conan glaubte, nicht nur diesem Grauen zuzuschreiben waren. Offenbar konnten die Mächte Jhebbal Sags nicht ohne Preis herbeigerufen werden.
Santiddio verharrte während des ganzen Rituals stumm. Als Conan ihm in die Augen blickte, wußte er, daß Sandokazi die abenteuerliebende Seele ihres Bruders mit ins Grab genommen hatte.
Als der Cimmerier die letzte Schaufel Erde auf das Grab geworfen hatte, fand Santiddio seine Stimme. »Es ist mir nicht länger wichtig, ob unsere gute Sache verloren ist oder ob wir ihr doch noch zum Sieg verhelfen können. Ich weiß nur, daß ich jetzt nach Kordava zurückkehre, um den Kampf fortzusetzen und den Stygier in die Hölle zu schicken, die ihn ausgespuckt hat, und wenn es das letzte ist, was ich tue.«
»Ich komme mit«, erklärte Destandasi.
»Aber dein Schwur!« erinnerte sie ihr Bruder.
»Es gibt eine Zeit, da selbst ein Schwur gebrochen werden muß.« Destandasi bückte sich, um einen Strauß Strohblumen und Herbstlaub auf das Grab zu legen.
»Jhebbal Sag ist alles Lebende heilig«, fuhr sie fort. »Es ist unrecht, ein Leben zu nehmen. Und es ist eine unverzeihbare Schändung, eine tote Seele zu versklaven, indem man ihren Leichnam mit der grauenvollen Verhöhnung von Leben erfüllt. Eine solche Verworfenheit darf nicht geduldet werden.«
»Dann kannst du uns also helfen, Callidios'
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