Conan und der Spinnengott
packte die Seilteile und ließ sich daran hinunter. Als seine Füße über dem Boden hingen, ließ er das Schlingenende los und sprang leichtfüßig wie eine Katze hinunter, zog am Enterhakenende des Seiles, bis die gesamte Länge zu seinen Füßen lag.
Jamilah hatte sich vor Furcht fast gelähmt an die Mauer gelehnt und starrte mit ängstlichen Augen auf den Tiger, dessen Geruch beißend in die Nase stieg. Hastig rollte Conan das Seil auf, griff nach dem Umhangbündel und legte schützend einen Arm um die angsterstarrte Prinzessin. Wie ein Schatten schlich er mit ihr über die Grasfläche und vorbei am schlummernden Kirmizi.
An der Außenmauer wirbelte Conan das Seil über den Kopf und schleuderte den Enterhaken hoch, bis er im Mauerwerk festsaß. Als er sich zum Aufstieg bereitmachte, warnte das plötzlich laute Einatmen Jamilahs ihn. Er wirbelte herum und sah den Tiger schwankend auf sich zukommen. Offenbar war die Dosis des Schlafmittels für das mächtige Tier nicht stark genug gewesen, obgleich Conan das ganze Fläschchen in das aufgeschlitzte Fleisch gegossen hatte.
Conan riß den Säbel aus der Scheide, als das Tier mit noch müdem Knurren zu laufen anfing und mit weit aufgerissenem Rachen geifernd zum Sprung ansetzte. Die scharfen Krallen berührten ihn schon fast, da schwang der Cimmerier den Säbel über den Kopf, spreizte die Beine und ließ die Klinge zwischen die glühenden, smaragdgrünen Augen herabpfeifen. Der schwere Tiger prallte gegen ihn und warf ihn zurück an die Mauer, an deren Fuß Mann und Tier zusammensackten.
Als Conan unter der gestreiften Masse verschwand, unterdrückte Jamilah mühsam einen Schrei. »Seid Ihr tot, Nial?« hauchte sie unter der Hand, die sie sich auf den Mund gepreßt hatte.
»Nicht ganz«, brummte Conan. »Sonst könnte ich Euch auch nicht antworten.« Wie ein Insekt unter einem Stein kroch er unter dem Kadaver hervor. Als er sich erhoben hatte, betrachtete er den Tiger, in dessen gespaltenem Schädel noch sein Krummsäbel steckte. Er setzte einen Fuß auf den Kopf des Tieres, um ihn dagegen zu stemmen, und zog mit all seiner Kraft, bis er die Klinge endlich frei hatte.
»Verdammt!« brummte er. »Ich hatte mir geschworen, mich nie wieder in eine solche Lage zu bringen – aber es kommt eben immer anders. Ein Glück, daß die gute kothische Klinge den Schlag überstanden hat.«
»Seid Ihr verletzt?« erkundigte sich Jamilah. Echte Besorgnis sprach aus ihrer gedämpften Stimme.
»Ich glaube nicht, daß ich mir etwas gebrochen habe«, antwortete Conan. »Aber an Kratzern und Blutergüssen fehlt es nicht. Ich komme mir vor wie nach einem Spießrutenlauf.«
Er wischte die Klinge am Fell des Tigers ab und schob sie in die Hülle zurück. Dann kletterte er die Mauer hoch, setzte sich rittlings auf die Krone, zog die Prinzessin hoch und ließ sie auf der anderen Seite vorsichtig hinunter. Schließlich löste er den Enterhaken und sprang auf die Straße. Er schlüpfte in die Stiefel und forderte die Prinzessin auf:
»Hüllt Euch in den Umhang und zieht die Kapuze tief ins Gesicht. Vor den Wächtern am Stadttor müßt Ihr mein Liebchen spielen – ein Mädchen aus Khesron.«
»Ich verlasse mich darauf, daß Ihr Euch keine ungebührlichen Freiheiten herausnehmt, Meister Nial«, sagte die Prinzessin. »Ich bin schließlich königlichen Blutes.«
»Fürchtet nichts, doch müßt Ihr Eure hohe Geburt vergessen, wenn Ihr aus Yezud herauskommen wollt.«
»Aber ...«
»Kein Aber, Lady. Ihr habt nur die Wahl hierzubleiben oder zu tun, was ich sage. Überlegt es Euch schnell.«
»Na gut«, murmelte Jamilah.
Ein wenig hinkend von seiner allzu nahen Bekanntschaft mit Kirmizi zog Conan die Prinzessin mit sich.
Als sie an einer weiteren Mauer vorbeikamen, die zwei Tempelflügel miteinander verband, blieb Conan abrupt stehen und hielt auch Jamilah an.
»Was ist los?« wisperte sie.
»Horcht!« Er drückte ein Ohr an den Stein und bedeutete der Prinzessin, still zu sein.
Von den zwei Stimmen, die sich hinter der Mauer unterhielten, erkannte Conan die tiefe, selbst in normalem Ton wie eine Glocke dröhnende des Hohenpriesters. Die andere gehörte vermutlich einem einfachen Priester. Feridun sagte:
»... zu befürchten, daß die Kinder erst in einigen Monaten ihre volle Größe erreicht haben.«
»Aber Eure Heiligkeit!« gab der andere zu bedenken. »Wir können den König nicht mit leeren Drohungen hinhalten. Er wird glauben, wir versuchen ihn mit Schreckgespenstern
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