Conan von den Inseln
Ruf an, an dem sich nach und nach immer mehr beteiligten, bis er aus Hunderten von Kehlen erschallte, und es dem keuchenden und schwitzenden Alvaro erschien, als erschüttere er den ganzen Platz.
»Am-ra! Am-ra! Am-ra!«
Dieser Ruf hob sich, bis er wie die Brandung dröhnte. Sein aufpeitschender Rhythmus rüttelte an des kleinen Zingariers gewöhnlich eisernen Nerven. Mit einer Hand tastete Alvaro hinter sich und unter sein schwarzes Samtwams. Dort steckte im Gürtel ein schmaler shemitischer Dolch mit wellenförmiger Klinge, gerade für einen Notfall wie diesen. Er zog ihn aus der schlanken Scheide und nahm ihn so in die Hand, daß die Wellenklinge an seinem Unterarm ruhte.
Dann sprang er von Conans Klinge ein paar Schritte zurück und blieb keuchend und sichtlich angestrengt stehen, während des Cimmeriers webende Klinge langsamer wurde und anhielt.
»Hattest du genug, schwarzes Schwein von Zingara?« knurrte der alte Wolf.
Der Dolch blitzte im Fackelschein, als er durch die Dunkelheit auf Conans ungeschützte Kehle zuschoß. Ohne sichtliche Hast griff Conans Linke hoch, faßte den Griff des Dolches und holte ihn im Flug aus der Luft.
Das Brüllen der Piraten erlebte bei dieser Leistung einen neuen Höhepunkt. Sie hatten gehört, daß die Männer in den Bergen des sagenhaften Ostens dieses tödliche Spiel, fliegende Messer aus der Luft zu pflücken, beherrschten, doch nie zuvor hatten sie es mit eigenen Augen erlebt. Keiner wußte von den langen Jahren, die Conan auf den öden Steppen Hyrkaniens, zwischen Küsten und Inseln der Vilayetsee und in den gewaltigen Himelianischen Bergen als Häuptling von Nomaden, als Binnenseepirat und Söldner verbracht hatte. In jenen Jahren hatte er gelernt mit dem tödlichen doppelgeschwungenen Bogen der Hyrkanier, dem scharfen Tulwar der Zuagir, dem spitzen Zhaibardolch und anderen Waffen des Ostens umzugehen.
Der Schock über diese Leistung weitete Alvaros Augen. Er schnappte nach Luft, riß den Spitzenkragen über seinem Brustpanzer auf und blieb unsicher stehen, als wüßte er nicht, was er als nächstes tun sollte. Die Spannung wuchs ins Unerträgliche.
Da – gab Conan ihm seinen Dolch zurück. Er sirrte durch die Luft und grub sich bis zum Griff in Alvaros entblößte Kehle. Einen Augenblick stand der Zingarier noch auf nachgebenden Beinen. Sein Gesicht war so bleich wie gestockte Milch, und Blut sickerte über seinen glänzenden Harnisch. Dann stürzte er vornüber krachend auf das Kopfsteinpflaster.
Conan warf sein schweres Breitschwert hoch, fing es und schob es in seine Hülle zurück. Und wieder zerriß der schallende Ruf Am-ra! Am-ra! die Luft.
5. Der Schwarze Krake
5
DER SCHWARZE KRAKE
Der Krake lebt von alters her,
seit er dem Urschlamm sich entwand,
in einem längst versunknen Land,
tief im dunklen Drachenmeer
Aus Die Gesichter des Epemitreus
Der Rote Löwe hatte vor drei Tagen die Barachan-Inseln verlassen. Der Morgen dämmerte, als die grüne Galeere gesichtet wurde.
Mit nacktem Oberkörper, das schwere Breitschwert an der Seite, stand Conan auf dem Quarterdeck und atmete tief den frischen, salzgeschwängerten Wind ein. Mähne und Bart waren steif vom Salz des hochgesprühten Gischtes. Die goldenen Flammen des Sonnenaufgangs färbten den östlichen Horizont und griffen nach den langen Wolkenschleiern. Der rauhe Passatwind aus dem Nordosten spielte mit dem Takelwerk und blähte die breiten Segel auf.
»Ho, Amra, so früh schon auf?« polterte eine tiefe Stimme. Conan drehte sich um und sah, wie Sigurd sich mit gespreizten Beinen gegen die Reling lehnte. Der Wind zerzauste seinen flammend roten buschigen Bart und verlieh seinen Apfelbacken einen noch tieferen Ton, er bauschte auch den wallenden roten Umhang auf, der einst den Rücken eines selbstherrlichen zingaranischen Admirals gewärmt hatte.
Conan grinste über das Bild, das der rauhe alte Nordmann abgab. Der Goldfaden, der einst in Arabesken den Umhang verziert hatte, war stellenweise abgerissen und stumpf, und einige der kunstvoll geschnitzten Elfenbeinzierknöpfe fehlten. Eine Schärpe in mehreren grellen Farben um den festen Faßbauch hielt das übliche halbe Dutzend edelsteinbesteckter Dolche, Streitkeulen und einen schweren Krummsäbel mit schartiger Klinge. Unter dem weiten Umhang trug der alte Vanir ein ehemals weißes Hemd, das nun mit allen möglichen Flecken beschmutzt und zerrissen war. Bis zum Nabel war es offen und so spitzte der silberdurchzogene rote Pelz
Weitere Kostenlose Bücher