Congo
als irgend jemandem wirklich klar war, und die veröffentlichten Listen »gefährdeter« Arten verrieten nur einen Bruchteil der Wahrheit.
Das Übel reichte bis hinab zu den niedrigsten Lebensformen: Insekten, Würmern und Moosen.
In Wahrheit zerstörte der Mensch bedenkenlos und ohne zurückzublicken ganze Ökosysteme. Und diese Ökosysteme waren zum größten Teil voller Geheimnisse, kaum erforscht. Karen Ross fühlte sich in eine Welt versetzt, die gänzlich anders war als die erforschbare Welt mineralischer Rohstoffe. In dieser Umgebung herrschte das pflanzliche Leben vor. Kein Wunder, dachte sie, daß die Ägypter dieses Gebiet das »Baumland« nannten. Der Regenwald bildete für pflanzliches Leben ein Treibhausklima, eine Umgebung, in der Riesenpflanzen dominierten und begünstigter waren als Säuger, auch als die zwar hochentwickelten, aber dennoch unbedeutenden Säuger der Gattung Mensch, die sich jetzt ihren Weg durch die immerwährende Finsternis des Urwalds bahnten.
Die Kikuyu-Träger hatten ihre besondere Art, auf den Wald zu reagieren: Sie fingen an zu lachen, zu scherzen und so viel Lärm wie möglich zu machen.
Karen Ross sagte zu Kahega: »Die sind aber lustig.«
»Nein, nein«, sagte Kahega. »Sie warnen.«
»Warnen?«
Kahega erklärte, daß die Männer Lärm machten, um Büffel und Leoparden von sich fernzuhalten.
»Und den tembo«, fügte er hinzu und deutete auf den Pfad, den sie gerade entlangzogen.
»Ist das ein tembo-Weg?« fragte sie. Kahega nickte. »Leben tembo in der Nähe?«
Kahega lachte: »Hoffentlich nicht, tembo ist Elefant.«
»Dann ist dies also ein Wildpfad. Werden wir Elefanten sehen?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, sagte Kahega. »Ich hoffe nicht. Elefanten sind sehr groß.«
Gegen diese Erklärung war nichts einzuwenden.
Karen Ross sagte: »Ich höre, die Männer sind deine Brüder.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Reihe der Träger.
»Ja, es sind meine Brüder.«
»Aha.«
»Sie meinen, daß sie und ich dieselbe Mutter haben?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Nein«, sagte Kahega, »so ist das nicht.«
Karen Ross war verwirrt. »Ihr seid also keine wirklichen Brüder?«
»Doch, wir sind wirkliche Brüder. Aber wir haben nicht dieselbe Mutter.«
»Und wieso seid ihr dann Brüder?«
»Weil wir im selben Dorf leben.«
»Mit euren Eltern?«
Kahega schien entsetzt. »Nein«, sagte er mit Betonung. »Nicht im selben Dorf.«
»Also in einem anderen?«
»Ja, natürlich — wir sind doch Kikuyu.« Und er erklärte ihr, daß bei den Kikuyu alle jungen Männer, alle »Brüder«, beim Eintritt in die Pubertät das Dorf ihrer Eltern verließen und in ein neues Dorf zogen, wo sie dann heirateten und ihrerseits Kinder aufzogen.
Er bot ihr an, die elektronischen Geräte zu tragen, die sie sich umgehängt hatte. Doch sie lehnte diese Hilfe ab. Sie mußte im Laufe des Tages immer wieder versuchen, mit Houston Verbindung aufzunehmen, und gegen Mittag fand sie tatsächlich eine Lücke, wahrscheinlich, weil der für die Störungen zuständige Operator des Konsortiums gerade Mittagspause machte. Sie kam durch und setzte eine neue Zeit-und Positionsangabe ab. Auf dem Bildschirm konnte sie lesen: UEBBPRUBPN ORTSZT -10:03 H.
Sie hatten seit der letzten Überprüfung am Vorabend fast eine Stunde verloren. »Wir müssen schneller vorwärts kommen«, sagte sie Munro.
»Wollen Sie joggen?« fragte Munro mit einem spöttischen Lächeln. »Ist auf jeden Fall sehr gesund.« Dann fügte er begütigend hinzu:
»Zwischen hier und den Virunga-Vulkanen kann noch eine Menge passieren.«
Sie hörten fernes Donnergrollen, und Minuten später waren sie von einem sturzflutartigen Regen durchnäßt. Die Tropfen waren so schwer und dicht, daß sie ihnen Schmerz bereiteten. Es regnete die ganze folgende Stunde hindurch. Dann hörte der Regen ebenso plötzlich wieder auf, wie er begonnen hatte. Sie waren alle klatschnaß und fühlten sich elend, und als Munro in einer Lichtung eine Essenspause einlegen ließ, protestierte Karen Ross nicht.
Amy machte sich sogleich im Urwald auf Futtersuche. Die Träger bereiteten sich eine Mahlzeit aus Curryfleisch und Reis, während Munro, Karen Ross und Elliot mit Zigaretten die Zecken von ihren Beinen wegbrannten, die sich voller Blut gesogen hatten. »Ich habe sie nicht einmal bemerkt«, sagte Karen Ross. »Bei Regen sind sie noch schlimmer als sonst«, sagte Munro.
Dann blickte er rasch auf und ließ seine Augen suchend über den
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