Congo
Sonnenstrahlen das Blätterdach durchdrangen, legte sie sich auf den Rücken, rülpste und seufzte zufrieden.
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?« fragte Karen Ross ärgerlich. So konnten sie die verlorene Zeit nicht aufholen. »Sie ist wieder ein Gorilla geworden«, sagte Elliot. »Gorillas sind Vegetarier und essen praktisch den ganzen Tag. Immerhin sind es große Tiere, und sie brauchen viel Futter.« Amy hatte sich sofort auf dieses Merkmal ihrer Art zurückbesonnen. »Schön, aber können Sie nicht dafür sorgen, daß sie mit uns Schritt hält?«
»Ich versuche es. Aber sie beachtet mich nicht.«
Er wußte auch, warum — Amy war endlich wieder in einer Welt, in der ein Peter Elliot nichts zu bedeuten hatte. Hier konnte sie selbst ihre Nahrung finden, Obdach, Zuflucht und was auch immer sie brauchte.
»Die Schule ist aus«, faßte Munro die Lage zusammen. Aber er wußte zugleich eine Lösung.
»Lassen Sie sie nur«, sagte er munter und führte die anderen weiter. Er hielt Elliot fest am Ellbogen.
»Drehen Sie sich nicht um«, sagte er. »Einfach weitergehen. Kümmern Sie sich nicht um sie.« Sie gingen einige Minuten schweigend weiter. Elliot fragte: »Und wenn sie nicht kommt?«
»Unsinn, Professor«, sagte Munro. »Ich dachte, Sie kennen sich mit Gorillas aus?«
»Ich kenne mich auch aus«, sagte Elliot.
»Dann wissen Sie auch, daß es in diesem Teil des Regenwalds keine gibt.«
Elliot nickte. Er hatte keine Schlafnester oder Kothaufen gesehen. »Aber sie findet hier alles, was sie braucht.«
»Nicht alles«, sagte Munro. »Zum Beispiel keine Artgenossen.« Wie alle Herrentiere sind Gorillas gesellig. Sie leben in einer Gruppe und fühlen sich allein nicht wohl — und auch nicht sicher.
Die meisten Primatenforscher vermuteten, daß sie ein dringendes Bedürfnis nach gesellschaftlichem Kontakt hatten, das sie ebenso stark empfanden wie Hunger, Durst oder Ermüdung. »Wir sind ihre Herde«, sagte Munro. »Sie paßt schon auf, daß wir uns nicht zu weit von ihr entfernen.«
Einige Minuten später brach Amy etwa fünfzig Meter vor ihnen durch das Unterholz. Sie beobachtete die Gruppe und warf Peter böse Blicke zu.
»Schon gut, Amy«, sagte Munro. »Komm, ich kraule dich.« Amy richtete sich auf und legte sich dann vor ihm auf den Boden. Munro kraulte sie.
»Sehen Sie, Professor? Es ist alles in Ordnung.«
Amy entfernte sich nie mehr weit von der Gruppe.
Während Elliot mit unguten Gefühlen den Regenwald als die natürliche Heimat »seines« Tiers betrachtete, begutachtete Karen Ross ihn als Quelle von Rohstoffen — allerdings hatte er da nicht allzuviel zu bieten. Sie ließ sich nicht von der üppigen übergroßen Vegetation täuschen, die, wie sie wußte, ein außergewöhnlich wirksames Ökosystem bildete, das auf praktisch unfruchtbarem Boden errichtet war. [Das Ökosystem der Regenwälder ist ein Energienutzungssystem, das mit weit höherem Wirkungsgrad arbeitet als irgendein vom Menschen entwickeltes System zur Energieumwandlung. Siehe dazu C. H. Higgins u. a., Energy Resources and Ecosystem Utilization (Englewood Cliffs, N. J.: Prentice Hall, 1977), pp. 232-255.] Die Entwicklungsländer in der dritten Welt hatten das nicht verstanden und mußten feststellen, daß der Boden, wenn der Urwald gerodet war, nur enttäuschende Erträge brachte. Und doch wurden Regenwälder mit der unglaublichen Quote von zwanzig Hektar in der Minute gerodet, Tag und Nacht. Annähernd sechzig Millionen Jahre lang hatten die Regenwälder der Welt den Äquator in einem grünen Gürtel umspannt — doch der Mensch würde sie binnen zwanzig Jahren gerodet haben.
Diese Art der Zerstörung hatte größte Beunruhigung und Bedenken ausgelöst, die Karen Ross jedoch nicht teilte. Sie zweifelte, daß das Weltklima dadurch wesentlich beeinflußt oder der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre dadurch gemindert würde. Karen Ross ließ sich nicht so schnell in Panik versetzen und auch nicht so leicht von den Berechnungen der ängstlichen Pessimisten beeindrucken. Wenn sie Unbehagen empfand, so deshalb, weil man so wenig vom Urwald wußte. Bei einer Rodungsgeschwindigkeit von zwanzig Hektar pro Minute starb in jeder Stunde eine Tier-oder Pflanzenart aus. Lebensformen, die zu ihrer Entwicklung Millionen Jahre gebraucht hatten, werden binnen weniger Minuten weggewischt, und niemand konnte die Folgen dieser mit unglaublicher Geschwindigkeit erfolgenden Zerstörung voraussagen. Die Ausrottung von Arten ging schneller vonstatten,
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