Congo
sind jetzt zwölf Stunden hinter unserem Zeitplan zurück«, sagte sie. »Das einzige, was wir tun können, ist, die ganze Nacht hindurch den Fluß hinunterzufahren.«
»Das würde ich sowieso tun«, erklärte Munro.
Karen Ross hatte noch nie gehört, daß ein Führer eine Expedition bei Nacht durch die Wildnis führte.
»Und warum?«
»Darum«, sagte Munro. »Weil die Hindernisse am Unterlauf nachts sehr viel leichter zu überwinden sein werden.«
»Was für Hindernisse?«
»Darüber reden wir, wenn es soweit ist«, sagte Munro.
Knapp zwei Kilometer vom Ragora entfernt hörten sie bereits das dumpfe Brausen des Wassers.
Amy war sofort ängstlich. Sie machte immer wieder Zeichen, wollte wissen: Was Wasser? Elliot versuchte sie zu beruhigen, aber viel konnte er nicht machen — Amy mußte sich mit dem Fluß abfinden, trotz ihrer Angst. Als sie schließlich das Ufer erreichten, merkten sie, daß das Rauschen von den weiter flußabwärts gelegenen Stromschnellen kam.
Unmittelbar vor ihnen war der schlammbraune Ragora nur fünfzehn Meter breit und floß ruhig dahin.
»Sieht ja gar nicht so schlimm aus«, sagte Elliot.
»Nein«, bestätigte Munro, »sieht ganz gut aus.«
Aber er kannte den Kongo. Der viertgrößte Fluß der Welt nach dem Nil, dem Amazonas und dem Jangtsekiang ist in mancherlei Hinsicht einzigartig.
Wie eine Riesenschlange wand er sich quer durch den Kontinent und kreuzte dabei zweimal den Äquator — beim erstenmal nordwärts, auf Kisangani zu, dann wieder bei Mbandaka nach Süden. Das war so bemerkenswert, daß noch vor hundert Jahren Geographen es nicht glauben mochten. Da nun der Kongo nördlich und südlich des Äquators floß, gab es irgendwo an seinem Lauf immer eine Regenzeit, und so war er nicht den jahreszeitlichen Schwankungen der Wasserführung unterworfen, die für Flüsse wie den Nil so charakteristisch waren. Der Kongo ergoß sich mit einer stets gleichbleibenden Wassermenge von gut zweiundvierzigtausend Kubikmeter pro Sekunde in den Atlantik. Der einzige Fluß der Welt, der an der Mündung eine vergleichbare Wassermenge führte, war der Amazonas. Wegen seines gewundenen Laufs war der Kongo allerdings auch von allen großen Flüssen der Erde am wenigsten schiffbar. Ernsthafte Schwierigkeiten für die Schiffahrt begannen bereits an den Stromschnellen von Stanley Pool, knapp fünfhundert Kilometer vom Atlantik entfernt.
Dreitausend Kilometer weiter versperren bei Kisangani, wo der Fluß immerhin noch gut eineinhalb Kilometer breit war, die Wagenia-Wasserfälle der Schiffahrt endgültig den Weg. Je weiter man an den Einmündungen der Nebenflüsse vorbei flußaufwärts gelangte, desto größer wurden die Schwierigkeiten, denn oberhalb von Kisangani ergossen sich diese Nebenflüsse ungestüm abwärts in den tiefer liegenden Dschungel — sie kamen von der im Süden gelegenen Hochlandsavanne und von den östlich liegenden schneebedeckten Fünftausendern des Ruwenzori-Massivs.
Das Bett dieser Flüsse folgte tief eingekerbten Schluchten, deren bemerkenswerteste die »Portes d’Enfer« — das Höllentor — bei Kongolo war. Hier stürzte sich der sonst friedliche Lualaba durch eine achthundert Meter tiefe und nur hundert Meter breite Schlucht.
Der Ragora war ein kleiner Nebenfluß des Lualaba, in den er in der Nähe von Kisangani mündete. Die Stämme, die an seinen Ufern lebten, nannten ihn baratawani, »die trügerische Straße«, denn er war dafür bekannt, daß er sich ständig änderte. Sein Hauptmerkmal war die Ragora-Schlucht, sechzig Meter tief in Kalkstein geschnitten und stellenweise lediglich drei Meter breit. Je nach den letzten Regenfällen war diese Schlucht entweder ein freundliches Naturschauspiel oder ein Alpdruck aus weiß siedender Gischt.
Bei Abutu befanden sie sich noch gut zwanzig Kilometer flußaufwärts von dieser Schlucht, und aus der Beschaffenheit des Flusses ließen sich keine Schlüsse daraus ziehen, wie es an der Schlucht aussah. All das war Munro bekannt, aber es erschien ihm nicht erforderlich, Elliot aufzuklären, der gerade jetzt mit Amy vollauf beschäftigt war.
Amy hatte mit wachsender Unruhe zugesehen, wie Kahegas Männer die beiden Schlauchboote aufpumpten. Sie zupfte Elliot am Ärmel und wollte wissen: Was Ballons? »Es sind Boote, Amy«, sagte er, obwohl er vermutete, daß sie sich das bereits selbst gedacht hatte und nur versuchte, die Lage zu beschönigen. Das Wort »Boot« hatte sie nur unter Schwierigkeiten gelernt, denn sie
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