Coolman und ich. Bonjour Baguette (German Edition)
machen. Da erfasst mich plötzlich eine Böe und treibt mich davon, ohne dass ich etwas dagegen tun kann.
Der Schulhof, die Bühne und die Zuschauer werden plötzlich wieder kleiner, weil mich der Wind von dem Hügel, auf dem unsere Schule liegt, über Keinklagenstadt hinweg zum Stadtpark weht.
Ich halte die Gitarre schützend vor mich, als ich unsanft zwischen den Ästen einer riesigen Kastanie lande. Aber das hilft nicht viel, die Zweige zerkratzen mir das Gesicht und die Hände. Kurz darauf stürzt sich ein Krähenpärchen mit seinen Schnäbeln auf mich, das in dem Baum sein Nest hat und mich für einen gemeinen Eierdieb hält.
Der Fallschirm hängt oben in den Zweigen, und ich baumele mit meiner E-Gitarre darunter, etwa fünf Meter über dem Boden. Das sind zwar deutlich weniger als die zweitausend Meter, die gerade noch zwischen mir und der Erde lagen, für meinen Geschmack aber immer noch viel zu viel. Ich könnte jemanden anrufen, aber leider habe ich kein Guthaben mehr, weil COOLMAN mit seinem Cousin in China telefonieren musste und vergessen hat, aufzulegen.
Es bleibt mir gar nichts übrig, als geduldig zu warten, bis ich gefunden und gerettet werde. Das kann dauern, weil ich einen olivgrünen Tarnfallschirm von Justins Vater habe, und der ist zwischen den Blättern der Kastanie kaum zu sehen. Ich könnte ein paar Akkorde auf der Gitarre spielen, um auf mich aufmerksam zu machen, aber das bringt ohne Verstärker auch nicht so wahnsinnig viel. Außerdem brauche ich die Gitarre, um mich gegen die Krähen zu verteidigen.
So, wie ich das sehe, habe ich gar keine andere Wahl, als darauf zu warten, dass mich jemand findet. Und damit das Warten für euch und für mich nicht so langweilig wird, kann ich die Zeit genauso gut nutzen und euch erzählen, warum ich mit dem Fallschirm aus dem Hubschrauber gesprungen bin. Das ist eine lange Geschichte, und noch vor drei Tagen hätte ich sie für völlig unmöglich gehalten.
Also, haltet euch gut fest, denn jetzt schmeißen wir die Zeitmaschine an.
DREI TAGE VORHER ...
Mein Vater fährt, meine Mutter sitzt auf dem Beifahrersitz und ich hinten. Wir sind zu spät. Meine Eltern haben den gesamten Vormittag in der Küche verbracht und gekocht. Das ganze Haus riecht superlecker, und ich freue mich jetzt schon auf das Festessen heute Abend. Die Rezepte haben sie aus einem französischen Kochbuch, und das ist so ziemlich genau das Gegenteil von Fast Food. Deswegen hat es auch so lange gedauert, bis wir endlich losfahren konnten.
Meine Eltern wollen, dass Dominique sich in den nächsten drei Tagen bei uns ganz wie zu Hause fühlt. Aus dem Keller, wo meine Eltern in einem Schrank scheußliche Geschenke lagern, haben sie einen kleinen blau-weiß-rot blinkenden Eiffelturm hervorgekramt und in meinem Zimmer aufgestellt. Den Turm hat eine Tante mal von einer Parisreise mitgebracht. Dabei ist das hässliche Teil gar nicht aus Frankreich, sondern Made in China.
Dominique ist ein Austauschschüler aus Frankreich. Er kommt direkt aus Paris und wird zwei Tage bei uns wohnen und gemeinsam mit mir zur Schule gehen. Ich finde das gut, vor allem weil in dieser Zeit die strikte Regel gilt: Kein Wort Französisch!
Schließlich kommt Dominique mit seinen Mitschülern zu uns, um Deutsch zu lernen, und da wäre es ja doof, wenn er die ganze Zeit nur seine eigene Sprache spricht.
Wir werden zu spät kommen, aber zum Glück ist vorher schon geregelt worden, welcher Franzose zu wem soll. Sonst wäre es mit der Verspätung echt schlimm, weil wir dann den nehmen müssten, den sonst keiner haben will. Das wäre bestimmt so ein pickliger französischer Computerfreak oder so ein Junge aus den Pariser Vorstädten. Die sieht man immer in den Nachrichten, wie sie Steine werfen und Wagen anzünden.
Dominique tut so etwas bestimmt nicht. Zu seinen Hobbys gehören Reiten, Shoppen, Tanzen und Partymachen. Das hat er gestern noch gemailt, und das hört sich wirklich nicht nach jemandem an, der in seiner Freizeit Autos abfackelt.
»Kannst du nicht ein bisschen schneller fahren?«, rufe ich meinem Vater zu, weil es nicht besonders höflich ist, Dominique warten zu lassen. Ich kenne das. Bei einem Sprachurlaub in England habe ich auch mal auf meine Gasteltern warten müssen, und das war nicht schön!
»Entspann dich! Das sind Franzosen, die nehmen es mit der Pünktlichkeit nicht so genau«, antwortet mein Vater und dreht sich zu mir um. »Der wird uns schon nicht weglaufen.«
Im selben Moment schreit
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