Cop
so oft wie nötig. Aber er hat es schon getan, er hat den Preis schon gezahlt. Und egal, was jetzt noch kommt, er wird sich nicht beklagen.
Diego sieht nicht gut aus – er ist blass und verschwitzt, und seine Augen blicken in weite Ferne.
»Einen hab ich erwischt«, sagt er. »Er ist tot.«
»Es tut mir leid«, erwidert Ian. »Ich hab das alles nicht gewollt.«
»Genau da hab ich ihn erwischt.« Diego berührt sich an der Wange.
»Es tut mir leid.«
»Genau da.«
In Rons weißem Toyota fahren sie zu dem halb verfallenen Haus, in dem Henrys Bruder bis zu seinem abrupten Abschied von der Welt gewohnt hat. Hätte Diego sich nicht irgendwo in seinen Gedanken verirrt, würde er bestimmt auf Ian einreden, er solle sofort ins Krankenhaus fahren, doch so sagt er überhaupt nichts, und das kann Ian nur recht sein. Er wird heute nirgendwohin mehr fahren, dazu ist er viel zu müde. Sollte er morgen früh wieder aufwachen, wird er über alles Weitere nachdenken, aber diesen einen Abend mit seiner Tochter hat er sich verdient. Und sie hat sich einen Abend mit ihrem Daddy verdient.
Sie steigen aus. Die Haustür ist nicht abgeschlossen.
Diego verzieht sich in ein Schlafzimmer am Ende des Flurs und taucht nicht wieder auf.
Beim Essen redet Maggie ununterbrochen, sie redet und redet, als hätte sie seit Jahren mit keiner Menschenseele mehr gesprochen. Ian sitzt neben ihr und hört zu, wie sie vom Albtraumland berichtet. Sie erklärt ihm, wie sie gezählt hat, bis ihr Kopf voller Zahlen war, damit keine schlimmen Gedanken mehr hineinkonnten; sie erzählt ihm von Henrys Bruder Donald, der ihr Bücher gebracht und manchmal sogar Unterricht gegeben hat, in Geschichte und Mathe; sie erzählt ihm von Borden, ihrem einzigen Freund, und von ihrem Fluchtversuch, wie sie durch den Wald gerannt ist, wie ihr seine Stimme plötzlich wieder Hoffnung gegeben hat, wie etwas in ihrer Brust, das so lange kalt war, auf einmal ganz heiß geworden ist. Als sie nach Mommy fragt, sagt er ihr, dass Mommy auf sie wartet, dass Mommy sie sehr, sehr lieb hat, dass sie später bestimmt sehr lange bei Mommy im Bett schlafen darf. Und er sagt ihr, dass sie der bewundernswerteste, der mutigste Mensch ist, den er jemals kennengelernt hat. Dass sie ein Wunder ist.
Ihre gemeinsamen Stunden sind die besten, die wahrhaftigsten Stunden seines Lebens. Als sie schließlich einschlafen, Seite an Seite auf dem Ausziehsofa, Maggies Kopf an seiner Schulter, ihre kleine Hand in seiner großen Hand, lächelt er. Und er träumt, Träume von einer glücklichen Zukunft, einer Zukunft voller Freude und Lachen.
Träume, in denen er bis in alle Ewigkeit leben könnte.
ANMERKUNG DES AUTORS
Es gibt keine Kleinstadt namens Bulls Mouth, Texas, und auch das Tonkawa County, in dem sich das Nest befinden soll, ist frei erfunden. Kein einziger Bewohner von Bulls Mouth ist an einen Bewohner der realen Welt angelehnt. Die meisten anderen Orte, die in diesem Roman erwähnt werden, existieren auch in der Wirklichkeit oder orientieren sich zumindest an realen Vorbildern, doch das Verhältnis des Texts zu einer akkuraten Kartografie ist äußerst angespannt. Man kennt sich kaum. Aus Konflikten, die sich zwischen den Erfordernissen der Handlung und denen der Realität entspannen, hat die Realität nicht ein einziges Mal als Sieger hervorgehen können.
Wie meine ersten beiden Romane wurde auch dieser Roman von Will Atkins redigiert. Gemeinsam haben wir fünfzig Seiten rausgeschmissen, was die Qualität der verbliebenen Seiten nur gesteigert hat. In einer gerechten Welt stünde auch sein Name auf dem Cover; da wir leider nicht in einer gerechten Welt leben, muss er sich mit meinem herzlichen Dank begnügen.
Außerdem danke ich Mary (wie immer), Seán Costello, Sophie Portas, Sandra Taylor und allen Mitarbeitern von Macmillan.
Und ich danke Ihnen – schließlich lesen Sie mein Buch.
RDJ August 2010
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