Coq 11
mittlerweile Gesetze gegen allzu hitzige Ausbrüche in der Predigt gebe.
Aber Gut und Böse seien nur der Ausgangspunkt. Danach werde es schwieriger und heikler. Denn diese Gymnasiasten oder Studenten habe nicht die Liebe zu Gott oder eine andere erhebende esoterische Erfahrung wütend gemacht.
Die Gründe seien 9/11 und der anschließend proklamierte Krieg gegen den Terror. Die drei Millionen echten oder angeblichen Muslime Großbritanniens stünden plötzlich als Feinde da. Wenn man wie er, Yussuf, gekleidet sei oder als Frau mit Kopftuch in die U-Bahn steige, sehe man Angst und Widerwillen in den Gesichtern der anderen Fahrgäste. Alle hofften, dass man sich nicht neben sie setze. Man könne nicht mehr unbeschwert einkaufen gehen oder sich über eine zweifelhafte Stromrechnung beschweren, ohne als potenzieller Terrorist betrachtet zu werden. Am meisten frustriere, bedrücke und erzürne das gar nicht die strenggläubigen Muslime, jedenfalls nicht die unterprivilegierten, sondern die nicht besonders oder gar nicht Gläubigen, die mit den Terroristen in einen Topf geworfen würden. Wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachte, sei es unwahrscheinlich, dass der kleine Palästinenser, der bei seinem Vater am Kebab-Stand jobbe und brav seine Gebete verrichte, eine U-Bahn in die Luft jagte. Wer für so etwas viel eher in Frage komme, sei ja bereits bekannt. Zum Beispiel jemand, der Cambridge-Absolvent sei und plötzlich meine, Gott gefunden zu haben, nun lernen wolle, wie man richtig betet, und ernsthaft überlege, keinen Alkohol mehr zu trinken.
Die meisten Imame, mit denen er über das Problem gesprochen habe, sähen die Sache ähnlich. Verwirrte Seelen auf der Suche nach Gott dürfe man nicht abweisen, man müsse ihnen helfen. Leider wollten sie meistens zuerst über den Dschihad und ihren Willen sprechen, sich für Gottes Sache zu opfern.
Und dann komme es darauf an. Man müsse sagen, dass es richtig sei, sein Leben für Gott zu opfern. Aber nicht bedingungslos. Es betreffe nämlich nur diejenigen, die wirklich von Gott berufen seien. Gott verbiete den Selbstmord. Und wer sich in der eitlen Vorstellung umbringe, er werde dadurch zum Helden, begehe eine doppelte Sünde. Dass Gott ihm das Leben geschenkt habe und Er allein das Recht habe, es ihm zu nehmen – genau das müsse man ihnen sagen, hatte Yussuf gemeint und dann geschwiegen.
Wenn er nicht gerade verprügelt worden war, konnte er vermutlich noch überzeugender predigen, dachte Webber, während er das Auto vor seinem Reihenhaus in Kensington abstellte.
Yussuf hatte gesagt, er lebe in einer Parallelwelt und dass er während der Predigt alles glaube, was er sage, und dass es ihm nun schizophren, ja geradezu blasphemisch vorkomme, wenn er einem britischen Offizierskollegen das Ganze darlege.
Zweifelsohne eine fantastische Leistung, nicht zuletzt in schauspielerischer Hinsicht. Al-Banna war kein Grünschnabel, er war wahrhaftig Mounas Mann.
In dem Moment, als die Reihenhaustür hinter ihm ins Schloss fiel, sperrte er alles aus, was mit seiner täglichen Arbeit zu tun hatte. Das war Routine. Er hatte diese Kunst über die Jahre entwickelt, und es gelang ihm fast immer. Wenn nicht, dann durchschaute ihn seine Ehefrau Mary sofort.
»Harter Tag, Liebling?«, fragte sie, als er in die Küche kam und sie auf beide Wangen und den Mund küsste. Mehr brauchte nicht gesagt zu werden. Sie wusste, dass er beim Geheimdienst war, aber nicht, was genau er machte.
Er nahm wortkarg und etwas abwesend am Familientrubel teil, fragte die ältere Tochter über Cromwell und den Puritanismus ab, informierte sich heimlich im Videotext, wie Manchester United gespielt hatte, räumte nach dem Essen den Tisch ab, überwachte das Zähneputzen und las seiner Jüngsten eine Gutenachtgeschichte vor.
Als die Kinder im Bett waren, sahen Mary und er sich ein Quiz im Fernsehen an, aber seine Gedanken waren woanders. Mary bemerkte das natürlich, sagte aber nichts dazu. Dass die Sendung zu Ende war, merkte er erst, als sie den Fernseher abgeschaltet hatte, sich auf seinen Schoß setzte und an seinen langen Haaren zog.
»Ich glaube, es wird langsam Zeit, sie abzuschneiden. Was meinst du?« Seine Frage kam für ihn selbst ebenso unerwartet wie für sie.
»Willst du meine ehrliche Meinung hören?«, lachte sie.
»Ja.«
»Ich finde, das ist eine der besten Ideen seit Langem, sie kommt dir nur viel zu spät!«, antwortete sie und zupfte ihn an seinen Nackenhaaren.
»Okay, habe ich mir
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