Coq 11
gedacht …«, murmelte er. »Darf ich dich etwas ganz anderes fragen?«
»Ja?«, gab sie zurück. Ihr Lächeln erlosch augenblicklich.
»Du bist schön, elegant gekleidet, eine fantastische Mutter, Universitätsdozentin in Betriebswirtschaft, liberal, aber nicht Labour, typisch intellektuell, Mitglied im Kirchenrat, der Stolz von Wales, und ich liebe dich …«
Er konnte seinen Satz nicht zu Ende bringen, und sie bekam natürlich Angst, dass er auf etwas hinauswollte, das sie verletzen könnte.
»Das war eine Charakterisierung, teilweise schmeichelhaft, aber korrekt«, konstatierte sie. »Wie lautet die Frage?«
»Ist jemandem wie dir bewusst, dass wir in Großbritannien tagtäglich Menschen in geheimen Kerkern foltern?«
Sie stand abrupt auf, zupfte nervös an ihrem Pullover und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
»Nein!«, sagte sie. »Das ist mir nicht bewusst, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es wissen will oder überhaupt wissen darf. Solange nur …«
»Solange nur was?«
»Solange nur mein Mann, mein Mann, nicht der Folterknecht ist.«
»In diesem Punkt kann ich dich beruhigen«, antwortete er. »Zu so etwas wäre ich, glaube ich, niemals fähig. Nicht einmal, wenn man die Frage theoretisch formuliert. Was wäre, wenn du die ganze Welt retten könntest, indem du deine eigene Mutter folterst … Nein. Dein Mann würde sich nie zu so etwas herablassen.«
»Wie schön«, sagte sie. »Dann trinke ich einen Pimm’s und du einen Scotch. Warte, ich hole dir deinen Drink, du bist ja entweder gelähmt oder im Halbschlaf. Ein bisschen Wasser, wie immer? Highland Park oder Caol Ila oder etwas anderes?«
»Caol Ila, bitte.«
Natürlich bereute er seinen Ausbruch. Der Rest des Abends würde, milde ausgedrückt, verkrampft verlaufen. Die meisten seiner Kollegen hielten sich nicht deshalb so diszipliniert an die Schweigepflicht, weil von den Ehefrauen ein Sicherheitsrisiko ausging, sondern weil halbe Wahrheiten selten etwas Gutes mit sich brachten. Und mehr als halbe Wahrheiten konnten sie sowieso nicht preisgeben.
Er ging früh ins Bett und stellte sich schlafend, während sie einen Roman las und tat, als würde er schlafen.
Am nächsten Tag im Büro berichtete er seinem Chef von dem Treffen mit dem Informanten und palästinensischen Kollegen und sorgte dafür, dass dieser angloislamische Verband einen Tipp von der Boulevardpresse bekam und Druck zu machen begann.
Anschließend zog er sich in sein Dienstzimmer zurück und nahm die ausführliche Version von Mouna al-Husseinis Vortrag zur Hand. Sie hatte ihm einen Ausdruck davon gegeben, bevor sie gegangen war. Er übersprang ihre zwar drastischen, aber doch überzeugenden Ausführungen über Wahnsinnige wie Abu Hamza in Finsbury Park und wandte sich gleich dem letzten Abschnitt über die wirkliche Gefahr zu, welche laut Mouna darin bestand, sich alle Muslime, auch die nichtgläubigen und die gebildeten, zu Feinden zu machen.
In seinem Weltbild war etwas ins Wanken gekommen. Er hatte Palästinenser immer als mehr oder weniger lästige Fahndungsobjekte oder Ziele größerer Operationen betrachtet. Man sah sie in den Nachrichten mit ihren grünen Stirnbändern in Gaza herumbrüllen. Ein merkwürdiger Gedanke, dass sie von dort kam.
Die Operation, die Mouna al-Husseini in London auf die Beine gestellt hatte, war die intelligenteste, von der er seit Langem gehört hatte. Ein künftiger Klassiker, von dem man später bei Schulungen berichten würde. Es war wie ein Theaterstück, eine Maskirowka, wie sie es nannte, die sich Hunderttausende von Thrillerautoren nicht besser hätten ausdenken können.
Enorme Fähigkeiten, speziell ausgebildete Mitarbeiter und sowohl politische als auch intellektuelle Kontakte waren dafür notwendig gewesen. Waren all diese Mühen wirklich nur dazu da, Terroraktionen in London zu verhindern?
Ihr schriftlicher Vortrag endete anders als der, den sie mündlich zum Besten gegeben hatte:
»… und alle unsere Anstrengungen lassen sich am Ende auf eine einzige Sache reduzieren. Wir kämpfen gegen die israelische Okkupation unseres Heimatlandes. Das ist unser übergeordnetes Ziel. Und Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, was ich hier in London mache, warum ich so interessiert daran bin, Ihnen zu helfen, obwohl Sie mich aus historischen und möglicherweise auch aktuellen Gründen als feindliche Agentin betrachten.
Die Antwort ist einfach. Jedes Mal, wenn sich eine durchgedrehte Frau aus Hamsar in einem Café am
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