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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillou
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für einen intellektuell geschulten Nachrichtenoffizier eher ungewöhnlich, ein äußerst geschickter Mörder gewesen. Vielleicht war bei einem dieser Aufträge irgendetwas schiefgegangen, und er war komplett durchgedreht. Im schlimmsten Fall würde man ihn als verwahrlosten Trinker unter Gleichgesinnten in irgendeiner Großstadt auflesen.
    Sie hatte ihn gut gekannt. Bei ihrer ersten Begegnung waren beide jung gewesen, er Hauptmann und sie Leutnant, wenn sie sich recht entsann. Oder war es umgekehrt gewesen? Damals hatte sie ihn mit der Pistole bedroht. Als sie sich zum zweiten Mal sahen, schoss sie auf ihn und folterte ihn in Maßen, um ihn vor den Verdächtigungen der Syrer zu schützen. Danach wurden sie Freunde fürs Leben, und ihre gemeinsamen Operationen waren immer erfolgreich verlaufen.
    Bei ihrem letzten Treffen waren sie beide wegen eines Auftrags in Libyen, der darin bestand, den nuklearen Sprengkopf einer SS-20 aufzufinden und unschädlich zu machen, den der Vollidiot Gaddafi der zusammenbrechenden Sowjetunion abge­kauft hatte. Auch diese Aktion war gut gegangen.
    Doch dann wurde sie zum zweiten Mal von den Israelis getötet. Sie tauchte für einige Jahre unter und arbeitete von ihrem Büro in Damaskus aus. Das Haus verließ sie nur mit schwarzem Schleier. Ihn oder irgendeinen anderen alten Freund zu kontaktieren, wäre in dieser Zeit schlecht möglich gewesen. Sie war ja tot.
    Daher gab der letzte Teil seiner Akte kein wirklich lebendiges Bild von ihm. Er war im Berichtsstil verfasst und wurde nur von Zeitungsausschnitten aufgelockert. Viel konnte sie der Akte nicht entnehmen, obwohl der Inhalt es ihr nicht schwer machte, dem allerletzten Vermerk zuzustimmen, den es über ihn gab: Wurde verrückt, kam ins Gefängnis, brach aus. Ist seitdem verschwunden.
    Vielleicht stimmte es, vielleicht auch nicht. An und für sich war es vollkommen logisch und psychologisch glaubwürdig.
    Er war zum obersten Chef des Sicherheitsdienstes seines Landes befördert worden und hatte folglich leichten Zugang zu den Namen und Adressen aller Denunzianten, die gegen Bezahlung ihre eigenen Landsleute, die politischen Flüchtlinge, verpetzten.
    Er hatte die Verräter der Reihe nach aufgesucht und sie mit denselben Methoden umgebracht, die ihn einst zum Helden gemacht hatten. Nun machten sie ihn zum Verbrecher.
    Während des Gerichtsverfahrens hatte er psychiatrischen Beistand abgelehnt. Im Übrigen hatte er sich selbst gestellt. Es schien, als wolle er bewusst Buße tun, denn ein Fluchtversuch wäre ihm vermutlich gelungen. Er wurde in einem weltweit Aufsehen erregenden Prozess zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt und brach einige Zeit später auf geheimnis­volle Weise aus seiner Zelle aus.
    Das war zehn Jahre her. Damals war er zweiundvierzig Jahre alt, heute wäre er also zweiundfünfzig. Wie gesagt, immer noch kein Alter für einen Vizeadmiral.
    War er damals wirklich verrückt gewesen? War er es noch immer?
    Es gehörte ein ungeheures Geschick dazu, sich so unsichtbar zu machen. Und wie alle Spione konnte er sich verstellen.
    Es gab gute Gründe anzunehmen, dass er weder verrückt noch ein Trinker unter irgendeiner Brücke in Europa geworden war. Denn bei der kleinsten Passkontrolle hätte man ihn erwischt. Er war nicht in Europa. Aber auch nicht in Russland. Die Russen hätten ihm wegen all seiner Auszeichnungen zwar einen Zu­fluchtsort angeboten, aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er solch ein isoliertes Leben niemals ausgehalten hätte. Sofern er nicht einer religiösen Bekehrung zum Opfer gefallen war und nun als Mönch in einem sibirischen Kloster hockte.
    Nein, das war unwahrscheinlich. Er hatte seine Ausbildung in San Diego in Kalifornien absolviert, an der University of Cali­fornia San Diego, außerdem das Navy-Seals-Programm und einige andere militärische Ausbildungsstätten durchlaufen. Dort musste er sein.
    Er sprach ein perfektes amerikanisches Englisch und würde von jedermann als Amerikaner angesehen werden. Er musste dort sein!
    Plötzlich begann ihr Gedächtnis nach etwas zu suchen, das nicht in seiner Akte stand. Dieses Versäumnis hatte sie selbst verschuldet, weil sie für die Aufzeichnungen verantwortlich gewesen war. Bei ihrer letzten gemeinsamen Operation, der Jagd auf den russischen Atomsprengkopf in Libyen, hatte ihm die CIA einen Decknamen verpasst. Er lag ihr auf der Zunge. Sie drehte und wendete seinen richtigen Namen einige Minuten hin und her, bis sie

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