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palästinensische Besatzung Schlange gestanden habe, um Blut zu spenden.
Der israelischen Flottenleitung dagegen stünden sie kritisch gegenüber. Diese sei auf einen so naheliegenden Angriff in keinster Weise vorbereitet gewesen. Auf die provokante Schlussfrage, ob man der Meinung sei, dass Gaza eigene Territorialgewässer und einen eigenen Hafen bekommen solle, antworteten sie achselzuckend, an Politik seien sie nicht sonderlich interessiert, es höre sich aber nach einem sinnvollen Vorschlag an, da die Besetzung des Gazastreifens aufgehoben sei.
Während des Interviews hatten sich keine Wachen oder Offiziere blicken lassen. Es hatte fast so ausgesehen, als wären die zwei Kriegsgefangenen – die von manchen als Geiseln bezeichnet wurden – in Freiheit interviewt worden. Beide hatten ihre Familien grüßen dürfen und zum Abschluss Kusshände in die Kamera geworfen.
Volltreffer, hatte Rashida Asafina in diesem Augenblick gedacht, das Schlussbild saß wirklich. Dieser Gedanke war keineswegs eine politische Reflexion gewesen, sondern ein rein professionelles Urteil.
9
Der Atlantik verhieß für die U-1 Jerusalem die Geborgenheit einer Wiege. Das Risiko, zufällig auf ein amerikanisches U-Boot zu stoßen, war minimal. Anatolij hatte sich den Scherz erlaubt, es mathematisch zu berechnen, und war zu dem Ergebnis gekommen, dass man dafür sechstausendsiebenhundertvierunddreißig Jahre brauchen würde. Der Atlantik nahm ein Fünftel der Erdoberfläche ein. Bei insgesamt einhundertsechs Millionen zweihunderttausend Quadratkilometern blieben für jedes amerikanische U-Boot anderthalb Millionen Quadratkilometer, eine Fläche, die doppelt so groß wie Texas war.
Da man während der Fahrt kaum etwas zu tun hatte, konnte man sich Dingen widmen, die man bislang vernachlässigt hatte, und beispielsweise palästinensische Flaggen auf die Ausgehuniformen nähen, Kleider waschen und bügeln, Filme anschauen, die nicht von U-Booten handelten – unter den Russen war ein wildes Westernfieber ausgebrochen –, den Sprachunterricht in immer größeren Konversationsgruppen abhalten und den enormen Zeitungsstapel abarbeiten, der bei der letzten Ladung im Mittelmeer mitgeliefert worden war. Nachts tauchte man auf und verfolgte die Nachrichtensendungen. Da man nun mehr Zeit hatte, konnte man auch BBC und Al-Dschasira empfangen und mit den amerikanischen Sendern vergleichen. Alle berichteten mehr oder weniger ausführlich davon, wie »das Netz um das Terror-U-Boot im Mittelmeer immer enger gespannt wurde«.
Als man den Äquator überquerte, wurde ein Neptunfest mit symbolischer Taufe derjenigen Seeleute veranstaltet, die zum ersten Mal über den Null-Breitengrad fuhren. Anatolij machte als Neptun Furore. Er beschloss, auch die israelischen Seeleute zu taufen, die sich diesem Anfängerritual noch nicht unterzogen hatten, aber alle außer einem lehnten das Angebot mit der Begründung ab, sie seien bereits im Indischen Ozean getauft worden.
Beim Neptunfest mangelte es nicht an Alkohol. Der Tag danach verlief äußerst ruhig, und da man das Risiko auf ein Minimum reduzieren wollte, im Notfall mit einer Besatzung operieren zu müssen, die nicht gerade in Höchstform war, ging man auf Sicherheitstiefe hinunter.
Als Mouna in die Messe kam, um etwas zu sich zu nehmen, das zumindest ihrem eigenen Rhythmus entsprechend ein spätes Frühstück war, saß in der Offiziersabteilung nur der israelische Leutnant. Er war in die mittlerweile ziemlich zerfledderten Zeitungen aus Ost und West versunken. Sie zuckte zusammen, als sie sah, dass er eine israelische Zeitung las.
»Guten Morgen, segen Eschkol«, begrüßte sie ihn müde. »Ich wusste gar nicht, dass man an Bord die Ha’aretz lesen kann. Was bekommen wir denn von denen für Kritiken? Gestatten Sie, dass ich mich setze?«
»Natürlich, General. Woher wissen Sie, dass Oberleutnant auf Hebräisch segen heißt?«
»Ich habe es für den Fall recherchiert, dass sich die Gelegenheit zu dieser kleinen Höflichkeitsgeste ergibt. Auf Arabisch ist es etwas komplizierter: mulazim awwa. Also, was schreibt die größte Tageszeitung Israels über uns?«
»Sie würden sich wundern, General! Verzeihung, können Sie Hebräisch lesen?«
»Ein bisschen.«
Eifrig blätterte er sich durch den unsortierten israelischen Zeitungsstapel und zitierte aus Leitartikeln, Leserbriefen und Reportagen. Es ergab sich ein Bild mit viel mehr Facetten, als sie erwartet hatte. Auf der ersten Seite der Ha’aretz
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