Coq 11
heraus, dass er der wichtigste Geldgeber hinter Santa Teresia war. Außerdem glaubte sie, dass seine verstorbene Frau Mexikanerin gewesen war.
Als sie vier Jahre nach dem Ende ihrer kurzen Beziehung geheiratet hatte, hatte er auf ihrer Hochzeit eine glänzende Rede gehalten, die den Anschein erweckte, er wäre in seiner geheimnisumwitterten Vergangenheit Politiker gewesen. Viel hatte sie von seiner Vergangenheit nicht erfahren, obwohl sie als Einzige in seinem überschaubaren Bekanntenkreis herausgefunden hatte, dass er etwas zu verbergen hatte und dass der Pferdeschwanz zu seiner Tarnung gehörte.
Nach ihrem Studienabschluss war sie in den Vorstand von Santa Teresia gewählt worden, und es war nicht schwer zu erraten, wer sie empfohlen hatte. Bei der letzten Vorstandssitzung hatte er sich wie immer nach ihrem kleinen Sohn, ihren Schwestern und ihren Eltern erkundigt. Sie wusste, dass ihr geheimnisvoller Schutzengel sofort eingreifen würde, wenn sie auch nur die geringsten Mietsorgen oder Ähnliches angedeutet hätte. Er war mit Sicherheit der liebevollste und fürsorglichste Mann, der ihr je begegnet war.
Beim Vorstandstreffen hatte er nicht anders als sonst gewirkt, höchstens einen Tick melancholischer, und sie wäre nie darauf gekommen, dass dies ihre letzte Begegnung war. Selbstmordgefährdet war er bestimmt nicht. Sein Verschwinden kam deshalb völlig unerwartet. Irgendwie war er aus La Jolla, wo er seine exakt bemessenen Joggingrunden absolvierte und sich gemeinsam mit den anderen Villenbewohnern gegen Einbrüche und Jugendkriminalität engagierte, nicht mehr wegzudenken.
Eines Tages war er einfach verschwunden. Es erschien ihr zwar unbegreiflich, aber auf eine seltsame Weise war sie sich sicher, dass sie ihn nie wieder sehen oder von ihm hören würde. Für sie war es nahezu undenkbar, dass er zu irgendeiner Tätigkeit in Uniform zurückgekehrt war. Er war der zivilste Mann, den sie kannte.
Nach Hamlon könne man die Uhr stellen, sagte man in Harrys Strandbar nahe der Anhöhe, auf der seine festungsähnliche Villa stand. Für gewöhnlich kam er zwischen zehn Uhr fünfunddreißig und zehn Uhr siebenunddreißig, trank einen Super Size Ice Tea und erkundigte sich, was es Neues gab. Das Thema Politik hätte er lieber vermieden, aber in diesen Tagen hatte manch einer etwas zu George W. Bushs schmutzigem Krieg im Irak zu sagen. Meist ging er darüber mit dem scherzhaften Hinweis hinweg, militärisches Denken könne er ohnehin nicht nachvollziehen.
Von November bis Februar war die Strandbar geschlossen gewesen, aber schon ab Anfang Februar strömten die Gäste in Massen herbei. Kurz vor seinem Verschwinden tauchte auch Hamlon wie ein treuer Zugvogel wieder auf. Er verschnaufte kurz, rieb sich mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht und bekam seinen Riesenpappbecher Ice Tea serviert, den er längst nicht mehr zu bestellen brauchte.
Alles war wie immer. Doch in der zweiten Woche nach Saisonbeginn machte der Betreiber eine ungewöhnliche Beobachtung. Hamlon entfernte sich – zum ersten Mal! – in weiblicher Begleitung. Allerdings hatte Harry gar nicht mitgekriegt, wie es dazu gekommen war. Er freute sich, dass Hamlon wider seine Vermutung etwas für Frauen übrig hatte. Ihn wunderte nur, dass das Ganze so schnell und unbemerkt vor sich gegangen war.
Carl hatte wie üblich den Kopf voll mit den morgendlichen Geschäftstelefonaten und der Arbeit am Computer gehabt, mit der er seine Wohltätigkeitsaktionen finanzierte. Noch nie im Leben war er so unvorbereitet gewesen. Die sportlich gekleidete Frau mittleren Alters war ihm überhaupt nicht aufgefallen, bevor sie sich ihm gegenübergesetzt und langsam die Sonnenbrille abgenommen hatte.
»Hallo, Carl«, hatte Mouna al-Husseini gesagt, »long time no see.«
Die Zeit war plötzlich stehen geblieben, er war sprachlos gewesen. War sie es wirklich oder hatte er Halluzinationen?
Sie hatte mit interessiertem Lächeln beobachtet, wie er um Fassung gerungen hatte. Für einen Moment hatte sie gedacht, er würde in Tränen ausbrechen.
»Mouna, meine geliebte, hoch geachtete Genossin Mouna, ich habe acht Jahre um dich getrauert«, hatte er geflüstert.
»Beim zweiten Mal haben sie meine Schwester getötet. Meine Familie und meine Abteilung hatten gute Gründe, die Sache geheim zu halten. Nicht einmal bei dir konnte ich mich melden«, hatte sie zurückgeflüstert.
Übers ganze Gesicht strahlend war er aufgesprungen, hatte die Arme um sie geschlungen, sie
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