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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillou
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bereits wieder putzmunteren Tier eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu verabreichen. Es strampelte verzweifelt.
    Hamlon reichte dem Herrchen die Hand und eilte zu seinem Kleiderhaufen. Das Herrchen sah ihm – unschlüssig, ob er seine Dankbarkeit stärker zum Ausdruck hätte bringen sollen –, hinterher und stürzte sich seinerseits ebenfalls in die Wiederbelebungsversuche.
    Als Hamlon dann die Arme über den Kopf gestreckt hatte, um sich seinen Pullover überzustreifen, hatte Linda Martinez es gesehen.
    In den wenigen Sekunden, in denen sein Oberkörper vollständig entblößt war, durchleuchtete sie ihn wie Röntgenstrahlen vor einer Operation. Zwei der Schusswunden waren verhältnismäßig frisch, aber sauber vernäht. Andere Schusswunden waren älter und nicht so gut versorgt, sein rechter Unterarm war voller Narbengewebe, das von Tierbissen herrühren musste. Sein Brustkorb war mit einem Messer aufgeschnitten worden. Folter also.
    Sie las in seiner Erscheinung so deutlich wie in einem medizinischen Gutachten. Der Mann war mindestens dreimal ange­schossen und gefoltert worden. Für Vietnam war er zu jung, und zudem waren einige Wunden noch frisch. Im Irak hätte man ihn wohl kaum mehrmals so übel zugerichtet, aber ein Soldat war er ohne Zweifel. In Los Angeles wurden junge Männer ein- oder höchstens zweimal angeschossen, öfter überlebten sie nicht. Soldaten dagegen konnten mehrmals angeschossen werden, da sie nicht verbluten mussten, während sie auf eine Operation warteten, weil medizinisches Personal und Krankenhausverwaltung erst klären wollten, welcher Bezirk für den jungen Mann zuständig war.
    Sie blickte Hamlon hinterher, der sich wieder die Kopfhörer in die Ohren gesteckt hatte und mit den Joggingschuhen in der Hand barfuß durch den Sand lief. Scherzhaft bat sie ihre Schwestern, ihr diesen »Computerfachmann« bei Gelegenheit vorzustellen. Kichernd hatten die beiden dann einige plumpe Anspielungen zurückgegeben. Manchmal machte es ihnen Spaß, die anständige große Schwester mit ihrer derben Ausdrucksweise in Verlegenheit zu bringen.
    Als sie ihn kurz darauf kennenlernte, hatte auch sie den Eindruck, dass er schwul sei. Seiner Art haftete eine weiche Ele­ganz an, die zu der feineren Sorte von Schwulen passte. Seine Kleidung, die teuer aussah, ohne versnobt zu wirken, die nahezu weibliche Geschicklichkeit, mit der er eine Soße zu dem großen Stück Lachs zusammenrührte, das er am Tisch auf der Terrasse grillte, seine Handbewegungen, als er den Wein einschenkte.
    Später redete sie sich jedoch ein, dass sie sich zu Beginn so sehr geniert hatte, dass sie weder klar sehen noch denken konn­te. Teresia hatte nämlich eine Woche nach der Begegnung am Strand bei ihr angerufen, um mitzuteilen, dass sie alle drei am Wochenende zum Mittagessen eingeladen seien. Ohne Hemmungen hatte Teresia zugegeben, dass sie ihm von ihrer echt scharf aussehenden großen Schwester erzählt habe, die ihn tierisch gerne kennenlernen wolle.
    Er servierte einen Wein, der himmlisch schmeckte, obwohl er aus Europa stammte, und schien bei den ersten Schlucken vor Glückseligkeit beinahe selbst in Tränen auszubrechen. Er be­merkte ihre Blicke und erklärte seine Verzückung mit Nostalgie und Sentimentalität. Wein trinke man besser nicht allein, und daher sei er ihn nicht mehr gewohnt. Dann sprach er über Teresias und Corazóns Förderunterricht im Heim. Ziel sei, dass die beiden einen Highschool-Abschluss erlangten, um das Colle­ge besuchen zu können.
    Schließlich gelang es Teresia mithilfe von sanfter Gewalt, ihn von der Schulbildung abzulenken, indem sie ihn zweimal fragte, weshalb er sich so jung zurückgezogen habe. Beim ersten Mal ging er über die Frage hinweg, aber beim zweiten Versuch siegte nach kurzem Zögern seine Höflichkeit. Er war wirklich ein Gentleman.
    Er antwortete ausweichend, er habe genug von seinem einträglichen, aber trostlosen und trockenen Job gehabt, und dass die Menschen, mit denen er beruflich zu tun gehabt hätte, alle männlich-logisch, in Zahlen eben, gedacht hätten und gefühlskalt gewesen seien. Während er den Tisch abdeckte, was er unbedingt selbst machen wollte, da sie seine Gäste seien, und das Dessert vorbereitete, unterhielten sich die Schwestern im Flüsterton. Die große Frage war immer noch, ob er schwul war. Sie erzielten keine Einigung. Linda war ganz sicher, dass er es nicht sei, Corazón hielt das für reines Wunschdenken, und Teresia deutete an, dass ihr reicher

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