Corkle 1
»Was führt dich denn hierher, Mac? Nüchtern, meine ich.«
»Dagegen läßt sich was tun«, sagte ich und reichte ihr eine Flasche Chivas Regal.
»Du kommst zur Frühvorstellung gerade noch rechtzeitig. Ich wollte mir die Haare waschen und dann schlafen gehen.«
»Dann bist du heute also schon verabredet?«
»Solo, wie das für ein Mädchen auf der falschen Seite der Dreißig hier in Bonn üblich ist.«
Zahlenmäßig übertraf in diesem Jahr die weibliche Bevölkerung zwar die müde, aber glückliche männliche, doch gehörte Fredl nicht zu jenem Teil, der neben dem Telefon sitzt und darauf hofft, daß es klingelt und sie zu einer Party eingeladen werden. Sie war eindeutig hübsch, auf diese merkwürdige europäische Weise, die fast ewig zu währen scheint und dann langsam in Schönheit übergeht. Und sie war klug. Ihr Doktortitel war rechtmäßig erworben. Sie berichtete für eine Frankfurter Zeitung – die intellektuelle – über Politik, hatte ein Jahr in Washington verbracht und war den größten Teil dieser Zeit dem Weißen Haus zugeteilt gewesen.
»Mach uns was zu trinken. Das spült die Jahre weg. Du wirst dich wie sechzehn fühlen.«
»Sechzehn war ich anno neunundvierzig, und Teil einer Halbstarkenbande; wir haben den Schwarzmarkt mit GI-Zigaretten versorgt, um die Schulzeit zu überstehen.«
»Wenigstens warst du nicht einsam.«
Sie zog sich mit der Flasche in die Kochnische zurück. Ihr Apartment bestand aus einem einzigen großen Raum und rühmte sich eines kleinen Balkons für Sonnenanbeter. Eine Wand war vom Boden bis an die Decke voller Bücher. Davor stand ein riesiger antiker Schreibtisch, dessentwegen ich schon daran gedacht hatte, das Mädchen zu heiraten. Ferner gab es einen hellbeigen Teppich, zwei Couchbetten, ein paar bequeme schwedische Sessel und einen kleinen Eßtisch. Die Balkonwand war ganz aus Glas, und an den beiden anderen Wänden hingen ein paar gute Drucke und eigenwillige Originale. Es war kein Raum, in dem man mal eben seinen Hut aufhängt. Jemand lebte hier.
Fredl stellte die Gläser auf einen niedrigen Ebenholztisch, der in der Luft zu schweben schien, weil seine Beine raffiniert versteckt angebracht waren. Sie setzte sich neben mich auf die Couch und küßte mich auf die Schläfe.
»Du wirst immer grauer, Mac. Du wirst alt.«
»Bald lebe ich nur noch von Erinnerungen. Wenn wir alten Knaben uns dann in ein paar Jahren in der Kneipe an der Ecke treffen, um unsere Rente zu versaufen, und uns gegenseitig keuchend vorsabbern, was für Mädchen wir flachgelegt haben, dann lasse ich den Film meiner Erinnerungen ablaufen und murmle vor mich hin: ›Bonn, herrliches, herrliches Bonn.«‹
»Wen kennst du in den Staaten, Mac?«
Ich überlegte einen Augenblick. »Eigentlich niemanden. Keinen, den ich sehen will. Ein paar Journalisten und Leute von der Botschaft vielleicht, aber die habe ich hier kennengelernt. Ich hatte eine verrückte alte Tante, die ich sehr gern mochte, aber sie ist schon vor Jahren gestorben. Von ihr habe ich das Geld für das Lokal gekriegt. Jedenfalls teilweise.«
»Wo bist du denn jetzt zu Hause?«
Ich hob die Schultern. »Geboren wurde ich in San Francisco, aber das ist keine Stadt, in der man zu Hause sein kann. Ich mag New York und Chicago. Ich mag auch Denver. Ich mag sogar Washington und London und Paris. Padillo hält Los Angeles für die Westhälfte vom Paradies. Wenn es nach ihm ginge, würde er die Autobahn mitten durch Bonn führen und an den Rändern Palmen pflanzen.«
»Wie geht es Mike?«
»Gut. Er ist verreist.«
»Und wie war es in Berlin, du Schuft? Du hast doch gewußt, daß ich ein paar Tage frei hatte.«
»Eine reine Geschäftsreise, aber erfolglos und mit zu vielen Martinis gewürzt – und einem Mord, der mich erwartet hat, als ich zurückkam.«
Fredl hatte den Kopf an meine Schulter gelehnt. Ihr blondes Haar kitzelte mich am Ohr. Es roch sauber und feminin und frisch. Kein Grund, es zu waschen. Ich ließ meine letzte Bemerkung wirken, und sie setzte sich mit einem Ruck auf. Beinahe hätte ich meinen Drink verschüttet.
»Du willst mich wieder auf den Arm nehmen.«
»Also, es ist so passiert. Zwei Männer sind in die Bar gekommen und haben auf einen anderen geschossen. Er ist tot.« Ich lehnte mich zurück und zog an meiner Zigarette. Plötzlich war Fredl nur noch Journalistin. Sie feuerte Fragen auf mich ab, machte sich auch keine Notizen, und es fiel mir schwer zu entscheiden, ob am Ende Fräulein Dr. Arndt oder
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