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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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fühlte mich wohl, aber zog mich zurück, denn jede Nähe führte unweigerlich irgendwann dazu, mich zu offenbaren.
          Niemand war da, als ich aus dem Müllerschen zurückkam. Ich hatte noch etwas Zeit, bis ich zum Theater musste, konnte noch etwas Musik hören, in Ruhe essen und sogar noch etwas vorausschlafen. Die Nacht würde lang werden. Ich hatte mich nicht mit Darius verabredet, aber ohne Frage würde ich ihn besuchen. Ich überlegte nicht einmal, ob er am Freitagabend vielleicht tanzen ging.
          
          Eine gute Woche war in ereignisloser Routine verstrichen, bis ich Darius wiedergesehen habe. Nachdem er mir morgens im Müllerschen über den Weg gelaufen war, meldete sich auch Fritz wieder. Genau so unerwartet. Ich musste am Nachmittag der Beleuchtung aushelfen, zwar nicht in den Theaterhimmel steigen, um die Scheinwerfer für die abendliche Vorstellung einzurichten, mich aber auf geklebte Markierungen stellen, mein Gesicht in die Spots und in die Beleuchtung halten, damit die Handwerker die Höhe einstellen konnten. Es durften sich keine Schatten bilden, ich musste bis in die letzte Reihe zu erkennen sein – wie die Schauspieler in der Vorstellung.
          Ich stand im Scheinwerferlicht, während Fritz die Spots und Strahler auf mich richtete, musste seine Anordnungen ausführen, mich bewegen, in die Hocke gehen, aufstehen, wieder in die Hocke gehen, mich auf den Boden legen, je nachdem, wo das Licht gebraucht wurde. Unsere Pause mussten wir gleichzeitig machen und die Höflichkeit gebot es, mich zu ihm zu und seinem Meister zu setzen. Solange der dabei war, lief alles gut. Ich aß das Brot, das ich mir mitgebracht hatte, redete, wenn ich etwas gefragt wurde, schwieg ansonsten und versuchte dabei, freundlich zu lächeln. Als der Meister aufgegessen hatte und aufstand, beugte sich Fritz zu mir, hielt die Hand so vor den Mund, als könnte uns jemand hören und flüsterte: »Dein Chef schmeißt dich raus, wenn zwischen uns was läuft?«
          »Natürlich. Er würde mich ja auch rausschmeißen, wenn ich etwas klaute. Es ist ein Verbrechen.«
          Fritz beugte sich näher. Freundlich, eher vertrauensheischend als zudringlich, als wäre er um Diskretion bemüht. Ich hatte den Eindruck, er wollte die eigene Angst bekämpfen, die seine Fantasien unterdrückte.
          »Aber wenn du nur offen zugibst, so einer zu sein, feuert er dich nicht?«
          »Das hätte passieren können. Andererseits ist man noch kein Bankräuber, wenn man davon träumt, einmal eine Bank zu überfallen und viel Geld zu haben.«
          »Das war mutig von dir«, flüsterte er und mir fiel zum ersten Mal ein fast sadistisches Lächeln an ihm auf. Nicht das scheue, sich nicht trauende Lächeln des Mittags, als er mich um Sex gebeten hatte, sondern ein selbstbewusstes, siegesgewisses. »In der Tat sehr mutig.«
          Ich rückte von ihm ab, nahm mir eine Zigarette, zündete sie an und antwortete nicht.
          »Von mir weiß es hier keiner. Wem wird mal also glauben, wenn ich behaupte, wir hätten es getan?«
          Es gelang mir, ruhig auszuatmen, es gelang mir sogar, einen zweiten Zug zu nehmen, den auch auszuatmen und ganz sachlich festzustellen: »Dir wahrscheinlich.«
          Fritz lächelte nicht mehr, er grinste selbstgefällig und überlegen. »Ich könnte also dein Studium ruinieren und dich ins Gefängnis bringen?«, fragte er, als ob er dafür noch eine Bestätigung bräuchte.
          Wieder atmete ich erst ruhig aus, beugte mich dann zu ihm vor und flüsterte: »Was willst du? Erpressen, dass ich dir einen runter hole?«
          Er wartete, wollte wohl eine effektvolle Pause machen. Oder einfach nicht meinen Rauch ins Gesicht bekommen. »Nein. Die Chance hast du verpasst. Ich brauche Geld.«
          
          Im Untergrund gab es feinnervige Informationssysteme. Nachrichten und Stimmungen breiteten sich wie Gerüchte über die Büsche, die öffentlichen Toiletten und die in Hinterzimmern versteckten Tanzsäle aus. Wir lebten damals im Untergrund. Tagsüber gingen wir bürgerlichen Tätigkeiten nach, studierten oder verdienten unseren Lebensunterhalt, lebten in möblierten Zimmern, die uns sofort gekündigt werden konnten, wenn der Verdacht bestünde, wir wären ›vom anderen Ufer‹. Gleichzeitig verboten die Vermieter dieser Zimmer Damenbesuche, Herrenbesuche aber nicht. Immer wieder hörte man als Echo von den Kacheln und als Wispern der Blätter

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