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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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vermieten.«
          »Lange konnte das nicht gut gehen.«
          »Nein, die Frau hätte ich weglassen sollen. Aber wahrscheinlich hätte ich die Wohnung dann nicht bekommen.«
          Während er erzählt, passiere ich den Eppendorfer Baum. Die sichere Zeit verrinnt. Noch muss ich mich auf den Verkehr konzentrieren, kann ihm zuhören und Fragen stellen. Damals, als er mich mit in seine Wohnung nahm, war klar, worauf es hinausliefe. Ich wusste, was er wollte, was ich wollte oder hatte zumindest eine Ahnung davon. Heute lautet die Abmachung »Essen«. Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt keine einvernehmlichen Codes mehr, sie sind nicht mehr nötig. Und »Essen« heißt eben nicht mehr als »Essen«. Wenn es um Sex geht, verabredet man sich in Internetforen zu DVD-Abenden. Ich spüre den Altersunterschied und komme mir albern vor. Normalerweise hätte ich bei einem so jungen Kerl nicht mal den Anflug einer Idee von Sex. Aber mit Darius habe ich ein Leben verbracht, wenn diese Gemeinsamkeit auch nur wenige Tage fleischlich war. Er hat mich verlassen, doch er hat mich auch nie verlassen. Bei der Ampel vor dem Ernst-Thälmann-Haus wage ich einen Blick auf Darius’ Gesicht. Er ist ein Twen seiner Zeit, egal, was uns verbindet. Sein Haar fällt auf seine Schultern, anstelle der Tolle von früher trägt er einen Pony, den er nur leicht mit den Händen aus dem Gesicht gewischt hat. Er trägt ein schlichtes T-Shirt mit dem Aufdruck eines American-Football-Teams. Ob er wohl weiß, dass dessen größte Zeit ausgerechnet in den Fünfziger Jahren lag? Für ihn muss ich ein alter Mann sein. Hätte ich ihn heute kennengelernt, wäre er uninteressant gewesen, hätte er mich heute erst …
          Er wäre an mir vorbeigelaufen, ohne mich kennenzulernen. ›Ihr werdet nur reden, du kochst ihm etwas, mehr wird nicht passieren.‹ Ich versuche mich zum Realismus zu zwingen, doch allen Äußerlichkeiten zum Trotz bleibt diese idiotische Hoffnung, es könnte so werden, wie es mal war.
          »Die Schwierigkeiten, die wir damals hatten, sind heute wahrscheinlich so wenig vorstellbar wie es die Schwierigkeiten von heute damals waren«, fährt Darius fort und bringt mich wieder in die Gegenwart.
          »Sind deine Schwierigkeiten nicht dieselben geblieben?«
          »Die meisten schon«, antwortet er. »Aber zum Glück nicht alle.«
          Er wartet.
          Ich warte, ob er mehr erzählt, von dieser pauschalen Feststellung in die Details geht, aber er schweigt, bis wir in den Maienweg abbiegen.
          »Du wohnst ganz schön weit außerhalb.«
          »Ja, in München wohnten wir damals zentraler.« Ich schalte, schaue ihn kurz an, während ich überlege, was ich noch an Fleisch und Gemüse im Kühlschrank habe. »Vegetarier bist du inzwischen nicht geworden?«
          »Nein.«
          »Gut.« Aber auch so weiß ich noch nicht, was ich machen soll. Eine Frage, deren Beantwortung mich wieder ein Stück von meiner aufgeregten Hoffnung ablenkt. Anstatt vom Maienweg geradeaus in den Brombeerweg zu fahren, biege ich links ab, um am Erdkampsweg noch einzukaufen. Das Warenangebot bringt mich meistens auf Ideen. Die Hoffnung verschiebt sich, die Fantasie formt ein Bild: wir beide in der Küche, gemeinsam Gemüse und Fleisch schneidend, zwanglos über der Arbeit kommunizierend. Das ist die realistischere Hoffnung, zumal er ja als Koch arbeitet. Ich kann mich also nur blamieren.
          Im Supermarkt kaufe ich Schweinefilet, Haselnusskrokant, Blutorangen und Rosenkohl. Immer vergewissere ich mich, ob Darius die Dinge mag, die ich in den Einkaufswagen lege. Er nickt jedes Mal. »Ich bin nicht wählerisch.«
          An der Kasse frage ich mich, was die Menschen wohl denken. Wahrscheinlich glauben sie, ich hätte meinen Enkel zu Besuch. Noch wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie gar nichts denken.
          Wir fahren zu mir. Dieses Mal ist er es, der sich umschaut, seinen Blick über die Einrichtung schweifen lässt, über die Treppe, die nach oben in mein Schlafzimmer und mein Büro führt, über die Garderobe aus Eichenholz, über die Bilder von Miró, meinem Lieblingsmaler, die an der Wand im Flur hängen.
          Ich ziehe meinen Mantel aus, Darius trägt ohne zu fragen die abgestellte Einkaufstüte in die Küche.
          »Donnerwetter, du bist ja gut ausgestattet.«
          »Im Laufe der Jahre sammelt sich einiges an.«
          »… wenn man den Platz dazu hat

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