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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Trotzdem schaffte ich es nicht, an ihm vorbeizukommen. Er sah aus, als wartete er auf etwas.
          »Arbeitest du schon lange hier?«
          Er nickte.
          »Ich habe dich noch nie hier gesehen.«
          »Ich dich schon.«
          Wenn wir in seiner Wohnung geschwiegen haben, war es angenehm. Hier weichte das Schweigen die Knie auf. Von den Kacheln hallten die Geräusche fließenden Wassers zurück. Aus den Kabinen hörte man es in den Badewannen plätschern, immer, wenn jemand sich bewegte.
          »Von dir hätte ich gedacht, du würdest dich melden.«
          Schuldbewusst sah ich zu Boden. Er konnte ja nicht wissen, wie oft ich von unten auf sein erleuchtetes Fenster gesehen hatte.
          »Ich dachte, es wäre mehr zwischen uns«, flüsterte er.
          Hatte er auf mich gehofft? Ist er abends zu Hause geblieben, weil er Angst hatte, mich zu verpassen? Hat er die Nächte wach gelegen, in der Hoffnung auf ein Zeichen von mir und hat sich danach gesehnt, auf die Geschichte aus meinem Körper zu lauschen, wenn wir uns zum Höhepunkt streichelten? ›Du bist es immer noch‹, hatte er zum Abschied gesagt und mir einen Kuss gegeben, den ich als seinen letzten empfunden hatte. Die ganze Woche lang hatte ich nur seine Vorwürfe im Ohr gehabt. ›Du bist ungerecht. Auch du hast Angst.‹ Und in den Wünschen nach seinen Berührungen bei den nächtlichen Spaziergängen nach den Aufführungen hatte immer die Angst davor gekauert, was sie über mich verrieten. Ich atmete einmal tief ein, fast, als wollte ich Luft für einen langen Kuss holen. Am liebsten hätte ich mich an Ort und Stelle von ihm umarmen lassen und die Sehnsucht der letzten Tage in sein Hemd geheult. Ich war eine schwache weibische Tunte. Aber die Gegenwart der erlebten Angst machte mich stark, nüchtern und gefasst. »Du hast etwas dazwischen gestellt«, antwortete ich in normaler Lautstärke.
          Darius sah sich schnell um, horchte auf die Geräusche, bevor er mir die Hand auf die Schulter legte. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
          Ich ließ seine Hand liegen, schüttelte sie nicht ab. Es war nur eine Geste unter Freunden. Daraus konnte uns niemand eine Falle bauen. »Das hast du.«
          Ein Haken wurde gelöst, eine Tür klappte, schnell zog Darius seine Hand von meiner Schulter.
          »Ist alles in Ordnung, Herr Beckmann?«, klang eine Stimme laut durch den Gang.
          Darius drehte sich um. »Alles in Ordnung«, rief er zurück und wandte sich laut an mich. »Schön, dass du jetzt auch in München lebst, Siegfried. Wir sollten uns mal treffen. Dann zeige ich dir, wo du die schönsten Mädchen findest.« Er bückte sich, hob den Wischlappen auf und wrang ihn über einem Eimer aus.
          »Gern«, sagte ich ebenso laut. »Aber erstmal muss ich mein Bad nehmen.«
          Ein letzter Blick von Darius bat darum, ich möge mich melden. Ich reichte ihm die Hand. Was mich erschreckt hatte, nutzte ich. Vielleicht könnte er in der unschuldigen Berührung hören, dass ich ihn immer erst spät abends besuchen konnte, wenn die Vorstellung vorbei war. »Auf die schönsten Mädchen bin ich gespannt«, sagte ich laut. In der Kabine ließ ich das Wasser in die Wanne und zog mich aus. Ich tauchte ganz unter, hielt die Luft an, solange ich konnte, prustete und tauchte wieder unter. Nachdem ich mich gewaschen hatte, sah ich Darius nicht mehr. Ich überlegte, wie ich Frau Bergmoser erklären konnte, dass ich nach der Arbeit nicht nach Hause käme. Warum? Ich zahlte Miete, war ihr gegenüber nicht zur Rechtfertigung verpflichtet, egal, wie sehr sie mich in ihre Familie aufnahm. Wenn ich wegblieb, blieb ich eben weg. Aber die beleidigte Miene, die sie aufsetzte, wenn sie mir wieder anbot, ich könnte meine Freundin doch gern einmal mitbringen, die Neugier oder das Interesse an meinem Privatleben und ihre Freundlichkeit setzten mich unter Druck. Ich hatte jedes Mal Angst, mich zu verplappern, gerade dann, wenn mich Begeisterung oder Verwirrung über Darius bis zum Überlauf füllte.
          Niemand war da zum Reden, niemand, dem ich vertrauen konnte. Mir blieb verletzendes Schweigen. Wenn schon die Gefühle illegal sind, vertraut man sie niemandem an.
          Merkwürdig. Ich hatte im Theater keine Skrupel, zu sagen, dass ich auf Männer stehe. Vielleicht gerade, weil es dort kein Vertrauen gab. Man arbeitete zusammen und war sich egal. Bei meinen Vermietern lebte ich in Angst. Ich

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