Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
Vom Netzwerk:
Geschichten über Denunziationen. Männer wurden in ihrem Zimmern belauscht, ausspioniert, überwacht und anschließend verpfiffen und angezeigt, wenn sie sich nicht ›an die guten Sitten‹ hielten.
          Wir lebten im Untergrund. Nicht in einem romantischen Untergrund politischen Kampfes, in dem man für Ideale einsteht, nicht im Untergrund einer künstlerischen Subkultur, die sich kommerziellen Interessen widersetzte. Wir lebten im kriminellen Untergrund. Unser Verbrechen war es nicht, zu lieben. Das wäre zu kitschig, der Sex hatte in den wenigsten Fällen mit Liebe zu tun. Unser Verbrechen war es, Lust zu verspüren.
          Wo man sich versteckt, weil man sich verstecken muss, wo man sich tarnt, weil man sonst ins Gefängnis kommen kann, wo man Geheimnisse in stiller Übereinkunft bewahren muss, weil berufliche Karriere und Lebensgrundlage davon abhängen, sind Profiteure nicht weit. Wo die Art zu empfinden schon ein Verbrechen darstellt, das im Strafgesetzbuch erfasst ist, gibt es Menschen, denen es die bürgerliche Pflicht befiehlt, zu denunzieren, die für Sitte und Anstand auch ihre eigenen Kinder anzeigen. Es gibt immer Menschen, die aus den dunklen Geheimnissen Kapital schlagen wollen.
          Das war während des Nationalsozialismus’ so und es wurde danach nicht besser.
          Und so flüsterten die Kacheln der Toiletten, die Blätter der Büsche am Gärtnerplatz und die Tische in den Hinterzimmern des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung immer häufiger die Warnungen vor Erpressern.
          Meistens handelte es sich dabei um junge Männer, die zunächst ihren Spaß hatten und hinterher daran verdienen wollten. Wo immer wir uns mit jemandem trafen, in welches Gebüsch wir uns verkrochen, mit wem wir unsere Lust befriedigten, die Angst war immer dabei. Ausgerechnet unter Gleichgesinnten mussten wir uns am meisten verstecken. Unsere Vermieter, unsere Arbeitgeber durften unsere Namen kennen, unseren Wohnort, unsere Steuernummer, die Musik, die wir gern hörten und bis auf verständliche Ausnahmen die Bücher und Zeitungen, die wir lasen. Sie durften nur nichts über unsere Vorlieben wissen. Das war machbar. Beim Sex wiederum teilten wir die verbotene Lust, ergötzten uns an unseren Unterleibern, sahen in das vom Orgasmus verzerrte Gesicht, hörten das Keuchen der Erregung, aber wenn wir Namen und Adresse verrieten, brachten wir uns in Gefahr. Über die Lust zu dem Vertrauen zu kommen, das Liebe auszeichnet, war riskant. Dass Darius es trotzdem mit mir gewagt hatte, und ich es mit ihm, machte schon unsere erste Nacht zu etwas Besonderem. Sie war es ohnehin, dadurch wurde sie aber noch wertvoller.
          Ich hatte die Warnungen der Kacheln und Gebüsche längst gehört. Aber ich hielt mich für immun. Meine Vermieter waren lieb und naiv, die konnte ich belügen, die flüchtigen Partner erfuhren über mich so wenig wie ich über sie, Darius würde mich bei niemandem verraten, dazu war es zu schön zwischen uns, an meiner Arbeitsstelle wussten alle über mich Bescheid. Ich war nicht zu erpressen – dachte ich.
          
          Ich verharrte und schwieg. Ich schaffte es nicht, mich zurückzulehnen. Ich schaffte es nicht, zu antworten oder Fragen zu stellen. Den Rauch meiner Zigarette konnte ich ausatmen. Auch konnte ich einen neuen Zug nehmen und den wieder ausatmen. Die Glut breitete sich aus, die Züge nahm ich zu schnell hintereinander. Fritz lehnte sich zurück, grinste zunächst, doch mit jedem Zigarettenzug wurde sein Gesicht ernster, seine Mimik fahriger.
          »Sonst …?«, fragte ich, nachdem ich die Zigarette ausgedrückt hatte.
          Die Frage brachte wieder ein bisschen Sicherheit in Fritz’ Gesichtszüge, seine Mundwinkel bewegten sich wieder leicht nach oben. »Sonst erzähl ich deinem Boss, du hättest es bei mir versucht.«
          Während Fritz versuchte, maliziös zu lächeln, dabei unruhig mit den Augen blinzelte, überlegte ich.
          ›Sollte ich was mit jemandem hier anfangen, würde mir gekündigt.‹ Das hatte mein Chef unmissverständlich klar gemacht. Würde mir gekündigt, könnte ich mein Studium nicht antreten, mein Zimmer nicht mehr bezahlen, müsste vielleicht zu meiner Mutter und Theodore zurück. Kurz hatte ich den Gedanken, ich könnte dann zu Darius, die vertrackte Sehnsucht, mit ihm zusammenzuleben wie Mann und Frau. Aber natürlich war das nicht möglich. Hatte er mir nicht gesagt, er wäre ängstlich? Mehr noch als

Weitere Kostenlose Bücher