Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
…«
Höre ich Bitterkeit bei ihm?
Ich lege die Einkäufe auf den Tisch, zwei Schneidebretter, Messer. Die Vorstellung gemeinsamen Kochens ist so nah, dass ich sie nicht in Frage stelle. Darius sieht mir zu und fragt: »Sag mal, kann ich bei dir duschen?«
»Natürlich«, antworte ich und hoffe, er bemerkt die bescheuerte Enttäuschung nicht. »Das Bad ist oben, die zweite Tür links.«
»Danke.«
»Handtücher findest du dort im Schrank.« Am liebsten würde ich ihn nach oben begleiten. Vielleicht zöge er sich ja schon um, während ich ihm ein Handtuch herausholte und dem Rasierapparat vorsorglich eine neue Klinge verpasste.
»Stört es dich, wenn ich deine Zahnbürste benutze?«
Wieder reißt er mich aus meiner Fantasie. »Ich habe aber auch noch eine unbenutzte in der Schublade unter dem Spiegel.«
Er kommt zu mir, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und sagt noch einmal »danke«, dann geht er nach oben.
Zum Glück darf ich den Rosenkohl putzen, Schale von einer der Blutorangen reiben, bevor ich die Frucht ausdrücke und mit dem Saft, der Schale und dem Nusskrokant eine Farce zubereite. Der Kuss kam überraschend – erhofft, ersehnt, doch unerwartet.
Kochen ist wie Malen ein Akt konkret werdender Fantasie. Der Umgang mit Farbe und Geschmack, mit Materialien, die man in ihrer Sinnlichkeit entdecken muss und für die immer gilt, keine Kombination zu verdammen, bevor man sie nicht ausprobiert hat. Beides hat mit Liebe zu tun, beides mit Glück und beides wird in besten Ergebnissen oft aus dem Streit der Gefühle geboren, aus Trauer, Schmerz und Verzweiflung, aber auch aus jubelndem Überschwang.
Beides ist Alltag, befriedigt Grundbedürfnisse und wird erst dann zur Kunst, wenn es diesen Alltag einfängt und sich gleichzeitig darüber erhöht.
Darius braucht lange genug. Bevor er fertig ist, bin ich soweit, dass ich nur noch warten kann. Auf den Herd, den Kohl, die Kartoffeln, das Fleisch und auf ihn. Das benutzte Geschirr kann ich nicht spülen, sonst bekäme er nur noch kaltes Wasser. Also decke ich den Tisch, öffne eine Flasche Riesling, zünde ein paar Kerzen an und setze mich an den Tisch. Gern nähme ich mir eine Zigarette aus der Schachtel, die Darius auf den Küchentisch gelegt hat. Ich hatte schon seit Ewigkeiten keinen Appetit darauf. Warum jetzt?
6.
Ich habe Darius bei meinen Spaziergängen nie getroffen. Eine Woche verging, es wurde wieder kälter, die Temperaturen kletterten selten über null Grad und es fiel wieder Schnee.
Da meine Arbeitszeit immer noch abends war, konnte ich den Tag nutzen, zum Baden zu gehen. Die Wohnung der Bergmosers hatte noch kein Bad mit Wanne oder fließend warmem Wasser. So ging ich unregelmäßig, aber einmal die Woche in das Müllersche Volksbad in der Rosenheimer Straße. Es lag von meinem Zimmer aus genau in die entgegengesetzte Richtung, die ich zu Darius gehen musste. Das Tröpferlbad in der Thalkirchener Straße hätte in der richtigen Richtung gelegen. Trotzdem ging ich auch am Freitag, den 21.01.1955 nicht dorthin. Die Sonne strahlte an diesem Tag so durch den Münchner Frost, dass es ein schöner Fußweg war, wenn ich den Dufflecoat ordentlich geschlossen und den Schal gut gewickelt hatte. Ich hatte einen Turnbeutel dabei, gefüllt mit meiner Kulturtasche sowie Kleidung zum Wechseln. Und ich freute mich auf das heiße Wasser, darauf, darin zu entspannen und auch darauf, darin zu onanieren. In den Badekabinen war man unbeobachtet, hatte Zeit und Ruhe. Ich bezahlte meinen Obolus und wollte gerade in den gefliesten Gang einbiegen, um zu meiner Kabine zu kommen, da traf ich ihn endlich – Darius. Dort, wo ich nicht mit ihm gerechnet hatte.
Er war allein, sein Haar war etwas feucht, die Haut seines Gesichts glänzte und dieses Mal trug er weder seine Jeans, noch seine Lederjacke, sondern einen weißen Kittel und eine graue Stoffhose. Er hatte einen Schrubber dabei, mit dem er einen Lappen über den Boden zog und ich musste an ihm vorbei.
»Guten Morgen«, sagte ich. Er sah auf. Ich überlegte, einfach weiter zu gehen, aber meine Schritte fühlten sich an, als hätte Darius Metylan über den Boden gezogen.
»Hallo«, antwortete er lächelnd. »Schön, dich zu sehen.« Er richtete sich auf, hielt den Stiel in der Hand und sagte kein weiteres Wort.
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