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Der Schattenprinz

Der Schattenprinz

Titel: Der Schattenprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
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Der Tag vorher
     
    Es war so und du musst mir glauben, dass es so war. Johanna hat geweint. Johanna hat bitterlich geweint, weil sie mit dem Fahrrad gestürzt war und das Fahrrad kaputt war.
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Sie weinte, das Fahrrad war kaputt und ich stand machtlos daneben.
    Dabei hätte alles ganz anders sein sollen. Wenn Johanna nicht geweint hätte, hätte ich ihr meine neuen Schuhe zeigen können. Wenn das Fahrrad nicht kaputt gewesen wäre, hätte ich wie immer damit fahren dürfen. Wenn ich gewusst hätte, was ich hätte tun sollen, dann hätte ich mich nie nach unten gebeugt, um aus dem Gras einen großen Knopf, der neben dem Fahrrad lag, aufzuheben.
    Johanna ging weinend nach Hause. Das Fahrrad blieb liegen, wo es lag.
    Ich steckte diesen tollen Knopf in meine Schultasche.
    Die Straße war leer, so konnte ich niemandem meine neuen Schuhe zeigen. Wir waren erst vor kurzem in diese Straße gezogen, deshalb hatte ich außer der kleinen Johanna noch keine anderen Freunde. Außerdem dachte ich auch an die Geschenke, die ich zum Geburtstag bekommen würde. Mein Großvater hatte mir ein Buch über ein mehrköpfiges Monster versprochen. Von meinen Eltern wünschte ich mir ein Fahrrad. Aber ich wusste nicht, ob ich es bekommen würde. Sicher wusste ich nur, dass meine Eltern mir ein ganz spannendes Geburtstagsgeschenk machen wollten. Deshalb war ich schon seit Tagen so aufgeregt. Die letzten beiden Nächte konnte ich vor Aufregung kaum schlafen. Schlief ich dann endlich ein, so träumte ich von diesem ganz besonderen Geschenk. Am Abend vor meinem Geburtstag wollten meine Eltern mich zum ersten Mal mit ins Theater nehmen. Ich war zwar schon ein paar Mal am Nachmittag im Puppentheater gewesen, aber noch nie am Abend mit Erwachsenen. Es war auch nicht irgendein Theaterstück, sondern etwas, von dem ich gar nicht genau wusste, was es war: eine Oper.
    Meine Mutter hatte mir erklärt, dass in einer Oper die Schauspieler nicht miteinander sprechen, sondern singen. Außerdem hatte sie gesagt, dass es dort auch ein großes Orchester gäbe, das zum Gesang der Schauspieler die Musik machte.
    Ich hatte noch nie ein Orchester spielen hören, außer der Blaskapelle der Feuerwehr. Und noch etwas interessierte mich: Auf der Bühne, wo die Schauspieler sangen, sollte noch etwas ganz Besonderes sein: ein Bühnenbild. Dort könnte man große Berge sehen. Oder einen Fluss. Oder eine ganze Stadt. Oder ... Ich weiß nicht, was noch alles. Alles, was auf der Bühne ist, wäre gemalt. Aber wenn man es sähe, glaubte man, dass es echt sei, hatte meine Mutter gesagt. Für mich klang das nach Zauberei.
    Beschäftigt mit diesen Gedanken ging ich unsere Straße entlang. Auf dem Schulhof mit den anderen Jungen Fußball spielen wollte ich an diesem Tag nicht. Ich hatte zum ersten Mal meine neuen Schuhe an. Wenn man neue Schuhe bekommt, dann spielt man nicht gleich Fußball damit.
    So machte ich bedachtsam einen Schritt nach dem anderen und kam zu dem einzigen Haus in unserer Straße, das unbewohnt war. Ich wollte schon wie immer vorbeigehen, da sah ich etwas Buntes aus der Erde blinken. Es fiel gerade ein Sonnenstrahl darauf.
    Durch ein Loch in dem morschen Zaun kletterte ich in den Garten. Mit meinen neuen Schuhen grub ich das Ding vorsichtig aus. Das, was ich herausholte, war aber leider kein wertvoller Schatz, es war nur eine alte, bunte Tontasse mit zerbrochenem Henkel. Die interessierte mich nicht. Ich trat mit dem Fuß dagegen und erwartete, dass die Tasse an der Hauswand in Scherben zerbrechen würde - aber das passierte nicht. Ich war überrascht, dass diese alte Tasse so stark war. So nahm ich sie in die Hand.
    Als ich sie gerade mit voller Wucht gegen die Wand werfen wollte, hörte ich aus dem unbewohnten Haus ein Lachen. »Hihihihi!«
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und steckte die Tasse in meine Schultasche. So schnell ich nur konnte, verließ ich den Vorgarten des unbewohnten Hauses, Als ich dachte, dass ich weit genug von dem Haus entfernt wäre, blieb ich stehen. Ich stand vor dem Theater. Über dem Eingang hingen zwei Masken. Die eine machte ein trauriges Gesicht und die andere lachte.
    Wenn ich schon mal da bin, kann ich auch hineingehen und mich ein bisschen umschauen, dachte ich. Dreimal ging ich rund ums Theater, aber alle Türen waren zu. Ich fand nur ein offenes Kellerfenster. Durch ein Kellerfenster zu klettern war für mich kein Problem. Darin hatte ich Übung, denn ich war schon oft in unseren

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