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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Losfahren.
          Wir brauchen nicht viele Worte. Dabei würde es so viele geben. Schnell wird es warm im Auto. Im Radio laufen inhaltslose Lieder von dünnen Stimmchen vorgetragen. ›The Infant Light‹, ›Femme Like You‹, ›Geile Zeit‹.
          Kahle Bäume, nackte Felder, wenn wir etwas anderes sehen als die Lärmschutzmauern an der Autobahn.
          »Weißt du, was du beim Aloisiushaus willst?«
          »Ja.«
          Schweigen.
          Landschaft.
          Lärmschutzmauern.
          Schleswig Holstein bietet wenig, wenn man es auf der A7 durchquert, nicht einmal Geschwindigkeit. Bis Neumünster darf ich höchstens 120 fahren. Neumünster Mitte muss ich auf die Landstraße Richtung Hohenwestedt. Bundesallee, kahle Bäume, …
          »Es ist eine Intuition, mit dir dorthin fahren zu müssen. Bis heute Nacht kannte ich den Ort nicht. Hatte nicht einmal davon gehört.«
          »War das damals genauso?«
          »Ja.«
          Es gibt kaum einen Ort, der so intim ist, wie ein Auto. Man sitzt nebeneinander, der Fahrer schaut auf den Verkehr, muss es, um keinen Unfall zu bauen, vertraut darauf, dass der Beifahrer das nicht ausnutzt, ihm nicht ins Lenkrad greift. Er sieht den Beifahrer nicht an.
          Der wiederum setzt sich der Macht des Fahrers aus, vertraut darauf, dass er das vereinbarte Ziel einhält, ihn heil dorthin bringt, aufmerksam ist. Er kann den Fahrer anschauen, aber meist schaut er nach vorn. Es schafft Einigkeit, in die gleiche Richtung zu schauen, es schafft Nähe, im Gespräch oder im Schweigen dem Blick des anderen nicht zu begegnen, auch wenn man es könnte.
          »Ich habe damals gewusst, das Theater würde dir kündigen. Und während ich im Müllerschen die Kacheln und Fliesen putzte, die Badewannen reinigte, Seife und frische Handtücher bereitlegte, tauchte der Standort des Hauses wie ein Befehl in mir auf. Ich sollte dich mitbringen, die Zeit mit dir teilen, bis du dich nicht mehr Gast, sondern Gastgeber sein würdest. Und dann, so wurde mir versprochen, könnten wir für immer zusammenbleiben. Ewige Liebe. Wirklich ewig.«
          Wir fahren die B430 westwärts. Ab und zu kommen wir an Gehöften vorbei, selten durch einen Ort. In der Einsamkeit der Gegend könnte schon jetzt überall ein Feldweg zum Aloisiushaus führen.
          »Hatten wir uns nicht genau das gewünscht?«
          Nur ein Schild am Straßenrand macht auf den Naturpark Aukrug aufmerksam. Die Landschaft scheint sich nicht zu verändern.
          »Es wäre verlockend gewesen. Ich hatte es mir gewünscht, du hattest es dir gewünscht. Ja.«
          »Was ist passiert?«
          Wir fahren tiefer hinein in den Naturpark, die Felder scheinen morastiger zu werden, ab und zu kommt uns jemand entgegen oder wir müssen einen Traktor überholen.
          »Kann ich dir das später erzählen?«
          Ich nicke.
          »Du wirst alles verstehen. Vielleicht hat das Haus etwas anderes im Sinn, aber du wirst alles verstehen, das verspreche ich dir.«
          Die Sonne durchbricht den dichten Nebel und blendet mich im Rückspiegel. Rechts passieren wir Bünzen, links Bargfeld. Wald, ein paar Seen, die L121, ein paar Siedlungen, dann wieder Einsamkeit. Kilometerlange Einsamkeit. Darius legt nur kurz seine Hand auf mein Bein.
          »Hast du eine Vorstellung, was das Aloisiushaus ist?«
          »Nur eine Vorstellung. Es hat etwas mit deiner Jugend zu tun. Ich nehme an, es verleiht sie dir.«
          »Es sorgt sogar für mich. Hört sich gut an, oder?« Er lacht, wühlt in seiner Manteltasche, öffnet das Handschuhfach und holt eine Packung Taschentücher heraus, schnäuzt sich, bevor er weiterredet, während wir durch kilometerlange unbewohnte Landschaft fahren.
          »Ich weiß nicht mehr, wann es war. Auf jeden Fall ist es zu lange her. Ich hatte einen Freund, den ich zwar nicht liebte, dem ich aber doch inniglich verbunden war. Trotzdem kann ich mich an seinen Namen nicht erinnern. Ist das nicht furchtbar?«
          »Du bist nicht mehr der Jüngste.« Ich will ihn trösten, bevor er weint, einen Scherz machen, der ihm zeigt, ich höre zu. Er legt wieder die Hand auf mein Bein, zieht sie dieses Mal nicht zurück.
          »Bitte nicht.«
          »In Ordnung.«
          »Es ist furchtbar«, fährt er fort, »weil es mit fast allem so ist. Seit das Haus mich gefangen hält, geht es mir gut, aber nichts bedeutet mir

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