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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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ich eine Decke um mich und lief zurück ins Dorf.
    In den Fenstern von Maries Haus brannte kein Licht. Ich klopfte an die Tür und sah mir die Katze auf ihrer Veranda genauer an. Ihr Fell war dunkler, als das derjenigen, die ich in Rokans Hütte gesehen hatte, aber sie war genauso groß und unheimlich.
    „Steh nicht da draußen rum, bis du Wurzeln geschlagen hast!“
    „Marie?“ Ich öffnete die Tür. „Ich bin es, Catrin.“
    „Ja, ja, wer denn sonst? Komm schon herein, Kind!“
    Ich folgte der Stimme in den Keller. Marie hockte am Tisch und legte ihr Strickzeug beiseite, als ich eintrat.
    „Leg ein Holzscheit nach“, sagte sie. „Du siehst aus, wie ein Eiszapfen.“
    Ich nahm zwei Stück Holz aus dem Korb neben dem Kamin und erstarrte in der Bewegung. Das Bild. Der Tunnel. Natürlich! Wie hatte ich nur so dumm sein können?
    „Ich muss Agnès finden“, kam ich ohne Umschweife zur Sache.
    „Ich dachte, das hättest du schon.“ Die Alte schlürfte an ihrem Tee und kicherte in sich hinein, als hätte sie einen Witz gemacht.
    „Aber sie ist doch erst seit …“ Ich schüttelte den Kopf. „Marie, seit wann ist Agnès verschwunden?“
    „Verschwunden, verschwunden und wieder gefunden.“
    So kam ich nicht weiter. Die alte Frau machte sich offenbar über mich lustig. Ich trat vor den Tunnel, streckte meine Hand aus, spürte einen Hauch über meine Finger streichen.
    „Manchmal sieht man mit geschlossenen Augen mehr“, brabbelte die Alte weiter. „Vergräbt man sein Herz unter einem Drosselbeerbaum, kann man dem Klopfen des Spechts nicht folgen.“
    Ich versuchte nicht hinzuhören, konzentrierte mich auf das Bild. Meine Hand zitterte, ich ballte sie zu einer Faust zusammen, öffnete sie wieder und berührte Leinwand. Leblose, raue Leinwand.

    Lizzie stieß die Tür mit dem Fuß auf. Das Tablett schwankte und sie balancierte es zum Bett. Der Raum füllte sich mit dem Duft nach gebratenem Speck und Eiern. Etienne drehte sich auf den Rücken und brummte. Seine Haare hingen ihm in die Augen.
    „Komm her, Princesse, ich bin hungrig wie ein Wolf.“
    Lizzie schob die Kerze zur Seite und stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab. Etienne packte ihre Handgelenke und zog sie zu sich heran. Mit den Fingerspitzen fuhr er die Konturen ihrer Lippen nach. „Ich sollte dich Elisabeth nennen“, flüsterte er.
    Lizzie beugte sich zu ihm hinunter, pustete ihm die Strähnen aus der Stirn. „Du solltest etwas essen.“
    „Ja, das sollte ich auch.“ Er küsste ihren Hals, die kleine Kuhle zwischen den Schlüsselbeinen. Mit einem Ruck zog er Lizzie auf sich. Umschlang sie mit seinen Armen.
    Lachend löste sich Lizzie aus der Umarmung, gab ihm einen Kuss. „Später, Cavalier. Ich muss mit Catrin reden. Wir haben einiges zu klären. Sie …“ Ein schwarzer Vogel landete auf dem Fensterbrett. Lizzie sah ihm zu, wie er an die Scheibe pickte. Sie atmete tief durch. „Ich glaube, ich habe ihr Unrecht getan.“ Etienne streichelte ihren Rücken und sie schloss für einen Moment die Augen. Dann stand sie widerwillig auf. „Ich muss das klären. Sie ist meine Schwester. Die einzige Familie, die ich noch habe … Außer dir.“
    Sie nahm einen Mantel vom Haken neben der Haustür, die Bilder auf der Kommode waren verschoben, eins sogar umgefallen. Sie stellte die Rahmen an ihren Platz zurück, nahm einen davon in die Hand, strich über ihr Gesicht, das im Sonnenschein glänzte, über Etiennes Arme, die besitzergreifend um ihre Taille lagen.

    „So, Kind, was möchtest du heute erzählen?“
    Ich stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und vergrub das Gesicht in den Händen. „Marie, bitte“, flüsterte ich durch meine Finger hindurch. „Ich muss sie finden.“
    „Musst du das? Willst du das?“ Die Alte schlürfte geräuschvoll an ihrem Tee. „Und will sie gefunden werden?“
    Ich legte meine Hände flach auf den Tisch. Betrachtete die tiefen Falten, die sich in Maries Stirn und die Wangen eingegraben hatten. Ihr Gesichtsausdruck war starr, wie der einer Statue. „Warum sagst du so etwas?“
    „Sei so gut und hol mir den Korb aus dem Regal dort hinten.“ Sie deutete mit dem Kinn auf ein Holzregal, auf dem verschiedene Dosen und Flaschen standen. Auf dem untersten Brett fand ich einen Weidenkorb, in dem Wollknäuel in allen möglichen Brauntönen lagen, einige von Stricknadeln durchbohrt, andere zu unlösbaren Knoten verwirrt. Ich stellte den Korb neben Marie auf den Boden. Sie beugte sich ächzend hinunter und nahm

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