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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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ihre Schulter und sie strich mir über den Kopf.
    „Lizzie, ich bin so froh, dass du da bist.“ Ich packte sie bei den Armen und sah ihr ins Gesicht. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet. „Hast du auch bemerkt, dass hier etwas nicht stimmt? Es scheint alles richtig zu sein, aber auch falsch. Ich …“ Ich suchte nach Worten. „Wo sind wir hergekommen?“, fragte ich. „Kannst du dich daran erinnern?“
    Lizzie nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände. „Catrin“, sagte sie. „Was redest du denn da? Wir sind hier, wo wir immer waren. Wo sollten wir denn sonst sein?“
    Ich zog das Feuerzeug aus der Tasche und legte es in Lizzies Hand. Sie strich mit dem Finger darüber, hielt es in den schwachen Lichtschein, der durchs Fenster herein fiel. „Das ist hübsch, wo hast du das her?“
    „Weißt du, was das ist?“
    „Natürlich weiß ich das. Hältst du mich für blöd? Was soll denn die Frage?“ Sie gab mir das Feuerzeug zurück und ich atmete erleichtert aus. Dann nahm sie meine Hand. „Komm mit, ich mache uns einen Tee. Etienne wartet sicher schon auf mich.“
    „Einen Moment.“ An der Tür hielt ich sie fest. „Wie heißt das Ding? Sag mir den Namen.“
    Sie sah das Feuerzeug an und strich sich die Haare hinter die Ohren. „Ach, das ist doch jetzt egal. Lass uns gehen, hier drinnen ist es eiskalt, da muss einem ja das Gehirn einfrieren.“
    „Du hast es vergessen“, flüsterte ich. „Wir vergessen wer wir sind.“
    „Catrin, jetzt reicht‘s mir aber.“ Ihre Stimmer war so eisig wie der Wind, der meinen Rock aufbauschte. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Ich wollte, dass wir wieder Schwestern sind. Eine Familie. Aber du machst dich über mich lustig. Warum bist du nur so geworden?“
    „Lizzie bitte, ich will doch nur …“
    „Vergiss es“, sagte sie. „Ich weiß nicht, warum du so zu mir bist, aber okay. Wenn du dich wieder eingekriegt hast, dann weißt du, wo du mich findest. Ansonsten lass mich einfach in Ruhe!“ Sie stapfte durch den Schnee davon, den Mantel eng um sich geschlungen, und verschwand in der Gasse, die zum Stall führte.
    Allein. Das Wort stand plötzlich wie eine Mauer vor mir. Ich war auf mich allein gestellt. Ich ließ mich am Türrahmen hinab gleiten, setzte mich auf den kalten Boden.
    Rokan war mir unheimlich, mit seinem Sammelsurium aus merkwürdigen Dingen und den ausgestopften Tieren in seinem Haus, Marie sprach in Rätseln und Lizzie hielt mich für verrückt. Und vielleicht war ich verrückt. Hatte es Agnès überhaupt gegeben? Bildete ich mir das alles nur ein? Ich sah das Bild des Kastanienbaums an. War der Himmel über dem Baum noch dunkler geworden? Hatten sich vorhin nicht noch rote Streifen durch den violetten Himmel gezogen? Und was war das? Am äußeren Rand des Bildes war etwas, das ich noch nicht bemerkt hatte. Ein Haus? Eine Kapelle?
    Ich lehnte den Kopf an die Wand, sah den Schneeflocken zu, die aufgeregt durcheinander trieben. Sie überzogen die Szenerie mit einem weißen, dichten Vorhang aus Kälte. Und ich war müde. Unendlich müde.

    24. Dezember
    Heiligabend. Wie hast Du diesen Tag geliebt. Das Durcheinander. Buntes Papier, Rascheln, aufgeregte Schritte. Wie hast Du immer gesungen? Ein wenig falsch, aber mit glänzenden Augen und geröteten Wangen. Wie hieß das Lied noch?
    Heute lachst Du nicht. Singst nicht. Du siehst mich an und siehst durch mich hindurch.
    Wir haben einen großen Baum. Er reicht fast bis zur Zimmerdecke. Mit Kerzen aus Bienenwachs. Es riecht nach Honig und Zimt. Du trägst weiße Kniestrümpfe und das kurze rote Kleid. Dein Lieblingskleid.
    Du packst Dein Geschenk nicht aus. Hältst es in Deinen Händen. Ich musste Deine Finger um das Päckchen schließen, damit es nicht von Deinen Knien rutscht.
    Ich werde es aufbewahren. Bei dem vom letzten Jahr und dem vom Jahr davor. Irgendwann kommst Du zurück und dann öffnen wir sie. Gemeinsam.
    Ich habe mit dem Pastor gesprochen. Er will Dich nicht in seiner Kirche haben. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen. Aber dann würden sie Dich holen. Hundert Taler für eine neue Glocke. Hundert Taler für sein Schweigen.
    Das Ding kreischt. Selbst unter dem dicken Tuch, das ich über den Käfig gedeckt habe. Ich will es töten. Jeden verwünschten Tag. Aber ich kann es nicht. Es hat Deine Augen.

    Ich ließ das Buch fallen. Klammerte mich am Rand meines Bettes fest. Das war nicht das, was ich erwartet hatte. Das war nicht das, was ich gehofft hatte zu finden.
    Ich hatte im

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