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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Hände vor die Augen.
    „Ich war mir so sicher, dass es dort drinnen ist.“ Rokan klang enttäuscht.
    „Was waren das für Stimmen?“, fragte ich. Mein Puls raste immer noch, meine Brust schmerzte.
    „Was meinst du? Die Stimmen aus den künstlichen Geistern? Ich weiß nicht, wo die herkamen, aber …“
    „Nein!“, unterbrach ich ihn. „Eine Frau und ein Mann … Ich konnte mich nicht bewegen. Sie haben etwas mit mir gemacht. Hast du die denn nicht gehört?“
    Rokan sah mir ins Gesicht. „Du bist blass“, sagte er. „Ich hatte so gehofft, dass dort drinnen ein Riss existiert, der uns zum Schloss bringt … Vielleicht sollten wir noch einmal fahren.“
    „Vergiss es.“ Ich rieb meine Armbeuge und betrachtete den blauen Fleck, der sich gebildet hatte. Keine zehn Raben würden mich noch einmal da hineinbringen.
    Ich sah mich nach Großmutter Rose um, aber an der Stelle, an der der Getränkewagen gestanden hatte, befand sich der Eingang eines Autoscooters. Auch die Fahrgeschäfte waren an anderen Stellen aufgebaut. Die Sonne brannte heiß, es mussten an die 30 Grad sein. „Es war ein Riss dort drinnen“, sagte ich. „Du hattest Recht, Rokan. Und ich bin hindurchgegangen, wenn auch nur für einen Moment.“
    „Es zerfällt so schnell. Aber warum jetzt?“ Rokan deutete auf einen Mann, der ein Vogelnest auf dem Kopf trug, in dem junge Spatzen piepten. „Ist das üblich in eurer Welt?“
    „Nicht, als ich noch dort lebte“, antwortete ich. „Wir sollten zu dem Hochhaus gehen und sehen, was es mit dem Summen auf sich hat.“
    „Falls es noch da ist“, sagte Rokan und sprach aus, was ich selbst gerade gedacht hatte. Das war nicht die Welt, in der ich aufgewachsen war, auch wenn sie ihr ähnelte. Aber das war meine Großmutter gewesen, anders zwar, aber doch meine Großmutter.
    „Sind es die Risse, die die Welt so verändern?“, fragte ich.
    Wir setzten uns auf die Treppe vor der Geisterbahn. Rokan wiegte den Kopf hin und her. „Die Risse sind Symptome, aber sie sind nicht der Grund. Erinnerst du dich daran, was ich dir über meinen Bruder und das Mädchen erzählt habe? Als ihr Vater die beiden trennte, hat er etwas zerrissen. Nicht nur ihre Verbindung, sondern etwas, das die Welten zusammenhielt. Es entstanden diese Risse, die Welten begannen sich zu vermischen und jetzt beginnen sie zu zerfallen. Selbst die Zeit ist keine Konstante mehr. Sie läuft schnell und langsam und rückwärts, aber folgt keiner Linie, keinem Muster. Alles scheint so zufällig und planlos.“
    „Aber kann man den Zerfall aufhalten?“, fragte ich. „Können wir ihn aufhalten?“
    „Möglicherweise wenn wir das Mädchen und Darko finden. Agnès könnte uns sicher helfen … Mit den richtigen Bildern … Vielleicht.“ Rokan wischte sich den Schweiß von der Stirn und schwieg. Er kramte in seinem Rucksack, und ich beobachtete die Menschen. Auf den ersten, flüchtigen Blick schien alles normal zu sein, aber bei genauerem Hinsehen erkannte man Unstimmigkeiten. Jemand, der seine Hose verkehrt herum anhatte, erwachsene Männer, die Spielzeugtiere an der Leine führten, eine Frau, die ihre Siebensachen in einem roten Plastikeimer am Arm trug. Und dann sah ich kupferrotes Haar in der Sonne leuchten. Ich sprang auf, kämpfte mich mit den Ellbogen durch die Menge, packte sie am Arm und riss sie herum. Sie lächelte. „Möchten Sie einen Schlüssel kaufen?“ Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. „Sie sehen aber aus, als hätten sie einen nötig.“
    Ich betrachtete die Auslage, die die Frau vor dem Bauch trug. Schlüssel in allen erdenklichen Farben und Formen, aus unterschiedlichen Materialien. Sogar aus Zucker, wenn ich das richtig sah. 
    „Ich habe kein Geld“, sagte ich, um sie abzuwimmeln.
    Sie zog die Augenbrauen hoch. „Geld?“, fragte sie.
    „Ja, Geld. Ich kann die Schlüssel nicht bezahlen.“ Ich wandte mich ab, aber sie hielt mich am Ärmel fest.
    „Oh“, sagte sie. „Sie kosten nur ein Sprichwort. Ein Sprichwort kann Türen öffnen, genau wie ein Schlüssel. Ist das nicht schön?“
    Die Frau begann mir lästig zu werden. „Auf fremdem Arsch ist gut durch Feuer reiten“, wiederholte ich Großmutters Glückskeksspruch und hoffte, dass sie sich damit zufriedengab.
    „Danke schön“, sagte sie. „Welcher darf es sein?“
    „Überraschen Sie mich einfach.“
    Sie kreiste mit den Fingern über den Schlüsseln wie ein Geier über einer Ebene voller Kadaver. Dann stieß sie blitzschnell hinab, drückte mir

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