Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
komm schon“, sagte ich lachend. Aber ich musste ihn hinter mir herziehen. Kaum war er eingetreten, blieb er stehen und lauschte. „Das ist es“, flüsterte er. „Aber ich kann es nicht orten. Kannst du den Ursprung ausmachen?“
Ich zuckte die Achseln. „Welchen Ursprung?“
„Den Ursprung des Summens.“
Ich konzentrierte mich. Zwei Frauen in schlichten Kostümen kamen die Treppe herunter. Absatzgeklapper, Murmeln. Irgendwo klingelte ein Telefon. Jemand hustete. Kein Summen.
„Ich höre nichts“, sagte ich. „Wie klingt es denn?“
„Einladend, wunderschön, bedrohlich.“ Er sah mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht deuten konnte. Verzückt traf es nicht ganz, kam dem aber ziemlich nah. Dann lief er auf eine Tür am Ende der Halle zu und drängelte sich zwischen den beiden Frauen durch, die schnell zur Seite sprangen, sonst hätte er sie wohl umgerannt.
„Rokan, warte!“, rief ich, doch er war schon durch die Tür geschlüpft. Ich rannte ihm nach, folgte ihm die Treppe hinunter. Das Klappern seiner Sohlen hallte von den Wänden wider. Nach einer Biegung hatte ich ihn eingeholt. „Was machst du denn? Warte doch auf mich.“
„Es ist ganz in der Nähe.“ Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen, obwohl es angenehm kühl war. Er presste seine Hände auf die Ohren.
„Ist das Geräusch lauter geworden?“ Ich konnte immer noch keine Summen hören.
„Unerträglich.“ Aus Rokans Gesicht war die Farbe gewichen und er atmete schwer.
„Dann sollten wir besser wieder nach oben gehen“, sagte ich, doch er schüttelte den Kopf und deutete mit dem Kinn in den Gang, der zu unserer Rechten abzweigte.
Langsam ging er weiter, leicht nach vorne gebeugt, als stemmte er sich gegen einen Sturm an. Die Gänge wurden nur durch das schwache Licht einer Notbeleuchtung erhellt. Ich folgte ihm in einigem Abstand und versuchte mir den Rückweg einzuprägen – links, rechts, rechts, zwei Stufen nach unten, links, rechts. Dann hörte ich eine Stimme: „Hallo? Ist da jemand?“
Ich packte Rokans Arm. „Wir müssen hier weg. Die Frauen haben bestimmt den Sicherheitsdienst gerufen. Wenn die uns finden, haben wir ein Problem. Ich kann mich nicht ausweisen und du wohl auch nicht.“
„Da! Da ist es!“ Rokan schüttelte mich ab und zeigte auf eine Eisentür, über der ein Notausgangsschild leuchtete. „Großer krâ, das ist ein gewaltiger Riss“, keuchte er. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht und den Hals hinab, seine Gesichtszüge waren vor Schmerzen angespannt. „Die Welten drängen durch den Türspalt, sind kaum zu bändigen. Kein Wunder, dass das Summen so ohrenbetäubend ist.“ Er hüpfte vor Freude und krümmte sich gleich darauf zusammen. „Lass uns hindurchgehen, lange kann ich das nicht mehr ertragen. Es zerreißt mich.“
Ich sah nur eine blaue Eisentür und hörte wieder die Stimme des Wachmannes, der uns den Rückweg abschnitt: „Wartet!“
Es gab keine Abzweigung mehr, wir saßen in der Falle. Der einzig mögliche Weg führte durch den Notausgang. Rokan hatte die Hände von den Ohren genommen und rüttelte verzweifelt an der Tür.
„Du musst den Hebel umlegen.“ Ich drückte die Eisenstange nach oben und die Tür schwang auf. Sofort ertönte ein Alarmton. Und Rokan sprang. Licht blendete mich, ich griff blind nach seinem Arm und riss ihn zurück, stolperte und fiel mit ihm. Ich klammerte mich an seinem kleinen Körper fest, umschlang ihn. Die Angst ihn zu verlieren schnürte mir den Hals zu.
Dann hörte ich seine Stimme. Nein, ich spürte sie an meinem Hals. Er stöhnte. „Anfang und Ende“, flüsterte er. „Ich wusste nicht, dass es so sein würde.“
Seine Lippen streiften meine und ich fühlte mich so einsam wie noch niemals zuvor. Ich presste mich an ihn, roch Winter und Sommer, fallendes Laub, Wind, einen Sonnenaufgang, Blaubeerkuchen, frisches Heu, nassen Hund, Tinte. Und dann schlug ich auf. Hart. Der Schmerz lähmte mich, zuckte wie ein Stromstoß durch meinen Magen, bis in die Fingerspitzen und Zehen - in meinen Kopf, der jeden Moment explodieren musste. Dann ließ ich den Schmerz mit einem Schrei entweichen. Ich spürte Rokans Körper an meinem, seine Hände auf meinen Brüsten. Ich riss mir die Kleider vom Leib, warf sie achtlos neben mich. Mantel, Hemd, Hose, das Bild des Kastanienbaums. Ich zog ihn an mich, linderte den Schmerz mit seinen Händen.
„Es tut mir leid“, flüsterte er nach einer endlosen Zeit des Schweigens und ich öffnete zum
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