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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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einem Fuß auf den anderen.
    „Rokan, das ist nur eine Geisterbahn“, sagte ich.
    „Sieh genau hin“, antwortete er und deutete auf den Eingang, wo sich gerade die Schwingtür öffnete, als eine der Gondeln dagegen stieß. Ich sah nur Dunkelheit und wollte schon widersprechen, doch da war noch etwas anderes. Die Schwärze flimmerte und in der Ferne erschienen die Umrisse eines Gebäudes. Dann fiel die Tür wieder zu.
    „Rabenschloss“, sagte ich. „Ist das wirklich?“
    „Alles ist wirklich“, antwortete Rokan. „Alles und nichts.“
    Großmutter Rose kam zurück und reichte jedem von uns eine Fahrkarte.
    „Ich warte dort hinten.“ Sie deutete auf einen Bierpilz und begann ihre Pfeife zu stopfen. „Die würden mich alte Schachtel womöglich nicht mehr raus lassen.“
    Ich hatte plötzlich Angst, ich war mir sicher, dass wir nicht mehr zurückkämen, wenn wir eine der Gondeln bestiegen hatten. Schon wieder würde ich Großmutter Rose verlieren. Ich versuchte mir jeden ihrer Gesichtszüge einzuprägen. Das Grün ihrer Augen, den Mund, die Falten auf der Stirn.
    „Was hast du denn, Catrin?“, fragte sie. „Fürchtest du dich vor den Geistern?“
    Ich schluckte. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe, Rosie.“
    „Das weiß ich doch.“ Sie nahm mich fest in den Arm. Ich roch ihr Parfum und eine leichte Tabaknote, drückte mein Gesicht an ihre Schulter. „Nun lauf schon, dein Freund kann es kaum erwarten.“
    Ich drehte mich zu Rokan um, doch dann griff ich nach Rosies Hand. „Versprich mir, dass du zum Arzt gehst, wenn du wieder im Dorf bist“, sagte ich.
    „Aber Catrin, was soll denn das? Mir geht es besser als je zuvor. Ich bin fit wie ein Krokodil im Nil.“
    „Bitte, versprich es mir.“
    „Meine Güte, du hast doch etwas von deiner Mutter abbekommen.“ Sie lachte und zündete sich die Pfeife mit einem Streichholz an, das sie zwischen den Weinblättern ihres Hutes hervor fischte. „Also gut, ich verspreche es. Zufrieden?“ Kopfschüttelnd bahnte sie sich einen Weg zu dem Getränkestand.
    Als wir an der Reihe waren und einen der Wagen bestiegen, sah ich, wie sie an einem Bier nippte. Sie wischte sich den Mund an ihrem Taschentuch ab und winkte mir zu. Mit einem Ruck begann die Fahrt und Großmutter Rose verschwand aus meinem Blickfeld.
    Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Pappmaschee-Monster wirkten billig und unecht. Aus Lautsprechern tönten verzerrte Geräusche. Ich lehnte mich zurück. Rokan klammerte sich an der Haltestange fest und starrte auf einen unsichtbaren Punkt irgendwo in der Ferne. Ich sah nur Riesenspinnen, lächerlich wirkende Zombies und enge, düstere Gänge. Doch ich erinnerte mich daran, wie ich Agnès verloren hatte und packte seine Hand.
    „Siehst du das Schloss?“, fragte ich. „Und hast du es vorher schon gesehen? Warst du vielleicht schon mal da?“
    „Unser Volk kennt Geschichten über das Schloss. Die Keimzelle, der Beginn. Der erste unserer Art.“
    Unser Gefährt holperte unsanft um eine Kurve, ich hielt mich erschrocken fest. Die spärliche Beleuchtung erlosch. Dann ging es steil bergab wie in einer Achterbahn. Der Fahrtwind trieb mir Tränen in die Augen. Ich hielt die Luft an und schrie auf, als ich einen Stich in der Armbeuge spürte.
    „Sie hat sich bewegt, sehen Sie?“
    „Nur eine Spontanbewegung. Muskelzucken. Atemfrequenz und Puls sind konstant.“
    Um mich herum war es immer noch dunkel. Die unbekannten Stimmen wurden von einem rhythmischen Piepton begleitet.
    „Rokan?“ Ich tastete nach seiner Hand und griff ins Leere. „Rokan, wo bist du?“
    Ein unmenschliches Kreischen trieb mir einen kalten Schauer über die Haut.
    „Stellen Sie es ruhig. Sofort!“
    Klackernde Schritte. Ein schwerer Gegenstand wurde über den Boden gerollt.
    „Rokan!“, rief ich noch einmal. Meine Stimme brach. Das Blut rauschte in meinen Ohren, ich versuchte mich aufzurichten, doch ich konnte mich nicht bewegen. Mein Herz raste, meine Muskeln zitterten. Ich schrie Rokans Namen, wieder und wieder; bäumte mich auf, hörte das Knirschen meiner Zähne, die ich vor Anstrengung zusammenbiss. 
    Das Piepen wurde schneller, unregelmäßiger, gipfelte in einen langgezogenen hohen Ton.
    „Wir verlieren sie! Wir müssen abbrechen. Lassen Sie das und holen Sie sie zurück, verdammt!“
    Mein Körper wurde in die Luft gerissen, bestand nur noch aus Schmerzen. Dann blendete mich gleißendes Sonnenlicht und ich schlug die

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