Corvidæ
Catrin, wie ist dein Name ?“
„ Dorlein “, sagte sie. Dann riss sie die Augen erschrocken auf und krallt e ihre Finger in meinen Ärmel, zog mich zu sich heran . „Du verrätst ihm doch nicht meinen Namen? Bitte, es darf meinen Namen nicht kennen!“
Rokan schnüffelte an einem in Papier verschnürten Päckchen und ich schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich verrate ihn nicht.“
Dorlein drückte dankbar meine Hand und ließ sich erschöpft zurück auf den Boden sinken. Ich gab ihr noch einen Schluck Wasser und ging zu den Männern hinüber , s e tzte mich im Schneidersitz zwischen die beiden . Dorlein hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen.
„Rokan, warum fürchtet sie sich so sehr vor dir?“ , fragte ich. „Und warum hast du sie gefesselt?“
Er stopfte die Sachen zurück in den Rucksack und sah mich lange an , bevor er antwortete . „Die Menschen fürchten sich vor allem, was sie nicht verstehen. Sie sind töricht, leicht zu lenken, und schlingen bereit willig hinab, was ihnen zum Fraß vorgeworfen wird.“ Er warf einen Blick zu Dorlein, die sofort die Hände vor die Augen schlug. „Sie hat mich erkannt“, fuhr er fort. „Ich musste sie mitnehmen, sonst hätte sie mich verraten.“
Unvermittelt schlug Jacques mit der Faust auf den Tisch. „Wir sind wieder am Anfang! Warum hast du uns hierher gebracht, Rokan? Willst du alles noch einmal erleiden? Willst du mich quälen? Warum tust du das?“ Er sprang auf und trat den Tisch um. Ich zuckte zurück. Jacques Augen flackerten im Schein der Kerzen, die Hände hatte er zu Fäusten geballt.
„Du bist uns aus freien Stücken gefolgt, Jakur , niemand hat dich darum gebeten.“ Rokan stand vor dem Jungen, der ihn um mehrere Köpfe überragte, doch sein Schatten reichte durch den ganzen Raum, berührte Dorlein s Arme, die sich ängstlich an die Wand drückte. „Warum bist du nicht zu Hause geblieben, bei deinem Vater? Du hättest weiterhin die Augen fest geschlossen halten können, die Ohren mit Wachs verpfropft und den Mund nur zum Essen geöffnet.“
Jacques Knöchel traten weiß hervor und seine Mundwinkel zitterten. Gleich würde er Rokan an die Gurgel gehen. Doch er ließ die Hände sinken und schluchzte. „Ich will das nicht noch einmal erleben. Wir h atten es hinter uns gelassen. Es war vorbei!“
„Nichts war vorbei, Jakur. Die Welt dreht sich weiter, auch wenn man sich Sand in die Augen reibt. Man kann die Zeit nicht anhalten.“ Zu meiner Überraschung strich er dem Jungen über den Arm. „Wir haben eine zweite Chance bekommen. Ich weiß nicht wie oder warum, aber wir können sie nutzen. Wir können versuchen, es zu ändern.“
Ich legte meine Hand auf Rokans Schulter, mit der anderen ergriff ich Jacques Hand. „Wir müssen zusammenhalten. Das ist das Wichtigste jetzt. Ich weiß nicht , wo wir sind, ich weiß nicht, warum wir uns verstecken müssen. Ich habe Angst. Und ich möchte endlich die ganze Geschichte hören, ihr verschweigt mir etwas. Ich will die Wahrheit wissen. Jetzt!“
Rokan nickte. „Setzen wir uns“, sagte er. „Ich dachte, es wäre besser, wenn du nicht alles weißt.“
„Aber ich …
„Du hättest es nicht geglaubt, Cat. Und ich verstehe die Zusammenhänge selbst nicht vollkommen. Aber ich werde dir alles erzählen, was ich weiß. “
Er stellte den Tisch wieder an seinen Platz und wir setzten uns auf den Boden . Aus seinem Rucksack förderte er eine Karaffe Wein zu Tage und … Plastikbecher? Nachdem er den Rotwein eingegossen hatte, legte er das Tagebuch in die Mitte des Tisches und begann zu sprechen . Das Wasser des Flusses unterlegte seine Worte mit einem beruhigenden Rauschen.
Kapitel 17
„ U nsere Geschichte beginnt in der Dunkelheit und dort wird sie auch eines Tages enden. Und ich erzähle sie euch so, wie sie mir von meinem Vater erzählt wurde und ihm von seinem .“ Rokan sah zuerst mich an, dann Jacques, der mit zusammengekniffenen Lippen in seinen Becher starrte. „Genau , wie dein Vater sie dir erzählt hat, bevor er vergaß, wer er ist. Du kennst sie, Jakur, sie gehört zu dir wie das Fleisch auf deinen Knochen und Herz und Blut darunter.“
„Nägel und Krallen, Feder und Haar“, flüsterte der Junge , ohne aufzusehen.
„Untrennbar miteinander verbunden“, fuhr Rokan fort. „Du weißt es, hör zu und erinnere dich.
Die Raben kamen aus d em Norden, am Anbeginn der Zeit; besiedelten das Land und die Wälder, lebten von Tag zu Tag, von Mahlzeit zu Mahlzeit, hatten
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