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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Türen und Fenster und schürten die Feuer in ihren Brandstätten .
    Für die Heranwachsenden wurde es zur Mutprobe, alleine ins Schloss zu gehen. Und so kam es alle paar Jahre vor, dass ein Kind geboren wurde, dessen Körper mit Federn bedeckt war. Die Familien versteckten die Neugeborenen, bis sie ihr Federkleid verloren hatten und durch nichts mehr von anderen Kindern zu unterscheiden waren. Die meisten blieben im Dorf, doch einige gingen in die Fremde, als sie alt genug waren. Auch sie bekamen Kinder, die unerkannt unter den Menschen lebten . Bis zu dem Tag, der alles veränderte; an dem das Sterben von neuem begann.“
    Rokan wischte sic h über die Augen und stand auf. Ich hörte Dorlein schluchzen, als er durch den Raum ging. Das Wasser plätscherte unaufhörlich vom Mühlrad und als er seinen Rücken durchdrückte und sich reckte, sah ich wie er Flügel ausbreitete, statt seiner Arme. Ich rieb meine übermüdeten Augen und stützte mein Gesicht in die Hände. Rokan hatte die Wahrheit gesagt, ich hatte es schon vorher gewusst, auch wenn ich mich geweigert hatte, es zu glauben. Alles war wahr, die Raben, das Mädchen, Großmutters Geschichten. Und mein Leben war auf rätselhafte Weise damit verbunden. Aber wie? Und warum?
    „Wir sollten etwas schlafen“, sagte Rokan. „Die Sonne geht bald auf und dann müssen wir überlegen, was wir als nächstes tun werden , und ein neues Versteck für die Nacht finden. Irgendwann wird man sie vermissen “, e r deutete mit dem Kinn auf Dorlein , die sof ort die Arme vors Gesicht hob, „ u nd nach ihr suchen.“
    Ich lehnte mich an einen der Mehlsäcke. Ich war viel zu aufgewühlt, um Fragen zu stellen, also versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen und Ruhe zu finden. Rokan kontrollierte den Sitz von Dorlein s Fesseln, dann legte er sich neben mich. Ich hörte zu, wie Jacques die Seiten des Tagebuchs umblätterte und döste wider erwarten ein.

    12. September
    Es ist so weit. Heute Abend werde ich Dich fortbringen, unter dem Schutz der Dunkelheit. Ein neues Feuer wird brennen, die Dorfbewohner werden abgelenkt sein. So hoffe ich.
    Tue ich das Richtige? Die Zweifel nagen an mir wie Ratten an gepökeltem Schinken, aber ich habe keine andere Wahl. Vielleicht werde ich scheitern. Vielleicht ist das Feuer auch Dein Schicksal, aber daran will ich nicht denk en. Daran darf ich nicht denken! Ich habe Deiner Mutter versprochen, Dich zu retten, auch wenn sie meine Worte wahrscheinlich nicht verstanden hat.
    Das Ding scheint zu ahnen, dass etwas vor sich geht. Es folgt jeder meiner Bewegungen mit seinen Blicken , scheint in meinem Gesicht zu lesen, als könnte es meine Gedanken durch die Haut schimmern sehen. Es ist schwach und doch spüre ich eine Stärke in ihm, die nicht seiner Muskelkraft entstammt. Sein Wille ist stärker als der Verfall. Stärker als der Tod? Müsste es nicht längst zug runde gegangen sein? Wie viel kann es noch ertragen? Wie viel kannst Du noch ertragen? Wie viel ich?
    Ich bete zu einem Gott, der meinen Namen vergessen hat. Ich bete, er möge Deine Mutter beschützen und mir vergeben.

    „ W ir können sie nicht hier lassen.“ Ich packte Rokan am Ärmel. „Was, wenn sie niemand findet?“
    Vorsichtig löste er meine Finger und hielt meine Hand fest, schüttelte den Kopf. „Sie wird uns bei der erstbesten Gelegenheit verraten. Sie hat genügend Wasser für die nächsten Tage und man wird nach ihr suchen.“
    „Und wenn nicht?
    „Cat, die Sonne geht bald auf, die Zeit drängt. Die Frau wäre uns nur ein Klotz am Beim.“
    Ich zog meine Hand zurück. „Dann bleibe ich auch hier“, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will und werde nicht schuld sein, wenn ihr etwas zustößt.“
    Rokan gab ein Brummen von sich. „Jakur, geh und hol sie. Mir wird sie nicht folgen. “
    Der Junge nickte und wandte sich zur Treppe.
    „Warte!“ Rokan sah ihn düster an, dann mich. „Ihr tragt die Verantwortung für sie. Ist euch das klar?“
    Ich lächelte Jacques aufmunternd zu. „Wir schaffen das schon, oder nicht?“
    Er nickte und stieg die Stufen hinab. Einige Minuten später kam er alleine zurück. „Sie weigert sich mit dem … mit uns zu kommen.“ Er rieb sich über die Stirn. „Wir lassen sie hier“, sagte er dann mit fester Stimme.
    Ich holte tief Luft, doch er schnitt mir das Wort ab, bevor ich auch nur eine Silbe gesagt hatte. „Wenn Rokan recht hat, dann haben wir vielleicht wirklich die Chance etwas zu ändern. Und d ann wird sich

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