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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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an Händen und Füßen gefesselt , hockte in sich zusammengesunken an einem Baumstamm . Ihr Kopf ruhte auf ihrer Brust. Ich tastete an ihrem Hals nach dem Puls und sie zuckte zusammen, stöhnte und hustete dumpf. Erst jetzt sah ich, dass ein Knebel in ihrem Mund steckte. Ich wollte ihn heraus ziehen, doch Rokan hielt mein Handgelenk fest.
    „Die Mühle“, sagte er. „Wir verstecken uns in der Mühle.“ Bei seinen Worten fing die Frau an zu zappeln und gegen ihre Fesseln anzukämpfen. Unbeirrt packte Rokan sie unter den Achseln und schleifte sie über den Waldboden. Jacques stand neben mir und rührte sich nicht. Ich berührte seinen Arm. „Willst du ihm nicht helfen?“
    „So hat alles angefangen“, flüsterte er. „Ich hatte es vergessen. Wie hatte ich das nur vergessen können?“
    Aus der Ferne wehten Stimmen zu uns herüber . Und sie schienen näher zu kommen. „Hilf ihm Jacques! Bitte, tu es für mich.“
    „Es wird wieder geschehen und wir können es nicht aufhalten.“ Der Junge sog hörbar die Luft ein. „Sie sind selbst schuld. Sie hatten die Wahl … Jeder hat die Wahl.“ Er beugte sein en Kopf zu mir herunter. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. „Aber ich werde nicht die falsche Wahl treffen, mein Vater hat recht, verstehst du das, Cat?“
    Ich verstand überhaupt nicht s , aber ich hörte die Stimmen, noch näher als zuvor, und nickte. „Ja, Ja cques, aber jetzt müssen wir uns beeilen. Hilf Rokan … Hilf mir.“
    Er sah mir noch einen Moment in die Augen und wirkte erwachsen. Alt. Dann ging er hinter Rokan her. Ich folgte den beiden und sah, wie Jacques sich die Frau über die Schultern warf wie einen Sack Kartoffeln. Sie wand sich und Jacques kam ins Straucheln. Rokan nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, flüsterte ihr etwas zu und sie hielt still.
    Wir erreichten die Mühle in wenigen Minuten. Der Eingang war unverschlossen, kein Licht brannte in den Räumen. Es roch muffig und nach Mäusedreck. Wie zur Bestätigung hörte ich es Rascheln und Fiepen.
    „Nach unten.“ Rokan verriegelte die Tür, packte dann die Beine der Frau, die augenblicklich wieder zu zappeln anfing. „Halt still“, zischte er. „Halt still, oder ich werde dich ansehen, hörst du?“
    Sie wimmerte wie ein Baby, lie ß sich aber die Treppe hinunter tragen ohne sich zu wehren. Wasser plätscherte. Das Holz des Mühlrades knarrte und ächzte und übertönte das Klopfen meines Herzens. Die Männer legten die Frau vorsichtig auf dem Holzboden ab. Rokan kramte Kerzen aus seinem Rucksack, wickelte sie aus der Plastiktüte und entzündete die Dochte mit dem Feuerzeug , tropfte Wachs auf ein Regal und stellte die Lichter dort auf . Die Frau rollte sich zusammen wie ein Fötus und drückte ihre Arme vors Gesicht. Sie wimmerte. Ich kniete mich neben ihren zuckenden Körper und strich ihr über den Kopf.
    Jacques hatte sich auf den Boden gesetzt, lehnte mit dem Rücken an der Wand und sah abwechselnd mich und Rokan an, der den Inhalt des Rucksacks auf einem niedrigen Tisch ausbreitete und die Gegenstände offenbar auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüfte.
    „Es ist alles gut“, sagte ich.
    „Verschwinde, solange du noch kannst!“ Die Frau sah mich durch ihre Unterarme hindurch an. Ihre Pupillen waren unnatürlich geweitet und sie atmete flach. Ich nahm ihr Handgelenk und fühlte ihren Puls, ihr Herz raste. Sie schielte zu Rokan hinüber und zitterte noch heftiger. „Flieh, bevor es dich ansieht“, raunte sie mir zu.
    Rokan? Ich beobachtete , wie er die Tasch enlampe einige Male ein und aus schaltete. Eine Maus huschte durch den Lichtkegel und verkroch sich zwischen Säcken, die in der Ecke standen. Getreide oder Mehl.
    „Er wird dir nichts tun. Rokan ist ein guter Mann.“
    „Ein Mann?“ Sie lachte auf und hustete trocken. „Es ist kein Mann. Kannst du denn nicht sehen , was es ist?“
    Ich holte die Wasserflasche und hielt sie ihr an die spröden Lippen. Sie trank vorsichtig ein paar kleine Schlucke.
    „Sie sind überall, niemand weiß, wo sie herkamen.“ Ihre S t imme klang jetzt weniger heiser . „Sie werden uns alle töten, wenn wir sie nicht zuerst töten.“
    Mit einem verächtlichen Laut stand Jacques auf und hockte sich neben Rokan, die Arme um die Knie geschlungen. Seine Blicke waren auf mich gerichtet, abe r er schien durch mich hindurchzu sehen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er einen Gedanken vertreiben, der ihm nicht gefiel.
    „Niemand wird dich töten“, sagte ich. „Ich bin

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