Cosa Mia
Theoriearbeit wieder aus. Trotzdem war ich kein schlechter
Schüler, ich lag im bequemen Mittelfeld, tat nie zu wenig und nie zuviel.
Außerdem war mir völlig klar, dass ich auch Streber werden könnte, wenn ich
wollte, der Stoff fiel mir nie schwer und das Lernen auch
nicht, doch die Zeit war mir zu kostbar. Ich war lieber
draußen und genoss meine Freizeit. Und endlich hatte ich freie Zeit genug! Ich
schnappte mir den Beutel und schlenderte aus dem Haus. Ich vermied größere
Straßen und schlängelte mich durch die Gassen aus der Stadt, immer schön
bergab.
Es war mir schon fast zur Gewohnheit geworden. Mein Vater
verlor übrigens kein Wort mehr zu dieser Angelegenheit, fragte noch nicht
einmal, wo ich geschlafen und von wem ich die Sachen bekommen hatte. Es schien,
als hätte er diese Sache einfach vergessen und es war vielleicht ganz gut so.
Nach der Schule traf ich mich meistens mit ein paar Jungs aus
der Nachbarschaft für die ich mich sonst nie interessiert hatte. Eigentlich tat
ich es auch jetzt nicht. Das Schlimmste war, dass ich mir aus Stolz nicht
eingestehen wollte, dass ich sie alle furchtbar vermisste. Ich vermisste sie
alle: Meinen Emidio, und auch die finsteren Typen, allen voran Maurizio, sogar
die Bediensteten, die das Haus sauber hielten und ich vermisste den Don mehr
als mir lieb war.
Und ich verfluchte ihn dafür und verfluchte die ganze
Familie, so sehr ich sie mir auch herbei sehnte. Ich lief Umwege, um keinen
davon zu treffen, aber wenn ich den Motor eines großen Autos hörte, drehte ich
mich um und war enttäuscht, wenn es kein großes und schwarzes war, so wie sie
welche fuhren. Ich begriff mein seltsames und widersprüchliches Verhalten
selbst nicht und verdrängte es die meiste Zeit. Ich beschäftigte mich
ungewöhnlich oft mit meinen zehnjährigen Schwestern, dass sogar meine Mutter
darüber die Stirn runzelte, ich spielte sogar bei ihren mädchenhaften Spielen
mit, ließ mich als Prinz oder als Bösewicht verkleiden, ließ mich sogar als
Frau schminken und ertrug das alles tapfer und stets in meinem Geheimnis
versunken. In dem Geheimnis, was mich unwiederbringlich an Sabatino fesselte.
Meinen Schwestern war mein verträumter Zustand egal, sie
merkten nichts, sie freuten sich viel zu sehr, dass der unerreichte Bruder, der
sich nie richtig gekümmert hatte, mit einmal so schön mitspielte. Sie flochten
meine Haare, banden Perlen hinein, stritten sich um die Farben und liebten es,
mich zu bemalen. Oft führte ich sie per Rad aus der Stadt hinaus auf die
Wiesen,
wo sie unbehelligt ihr Unwesen mit mir treiben konnten,
schließlich wollte ich nicht angemalt wie eine Puppe in unserer Straße
herumspringen. Ich merkte, dass mir meine Mutter dankbar war, auch wenn sie es
nicht so genau ausdrücken konnte. Hin und wieder steckte sie mir ein paar
Münzen extra zu. Dass ich schon fast ein kleines Vermögen in meiner Matratze
versteckt hatte, ahnte sie natürlich nicht.
Nun lief ich gemächlich aus der Stadt hinaus zum Hof von
Signor Marcello, der eine kleine Ziegenfarm besaß und bei dem sich mein alter
Onkel gerne die Zeit vertrieb. Es war ein langer Marsch und ich hätte
eigentlich auch mit dem Fahrrad fahren können, aber ich hatte Zeit und Lust auf
diese Wanderung. Der alte Pedro war nicht klein zu kriegen, denn er mochte
einfach nicht alt werden, obwohl die Ärzte sagten, er hätte eine kaputte Lunge
und sein Herz wäre auch sehr schwach. Er tat mehr als seine Gesundheit zuließ,
doch er war zu stur, um es einzusehen. Er fuhr sogar noch Auto, mit seinem
uralten roten VW, aber so schön langsam, dass er schon den einen oder anderen
Stau ausgelöst hatte. Alle Hinweise und Bitten waren vergebliche Liebesmüh,
man konnte genauso gut einen Stein bitten, sich
fortzubewegen, so stur war er.
Trotzdem war er mir der Liebste meiner Verwandtschaft, von
seiner Hassliebe zu den Castellis einmal abgesehen, die er hegte und pflegte
wie ein Schatz.
Ich bog den Ackerweg ein, der an ein paar kleinen Feldern
vorbei führte. Es war später Nachmittag, aber es war noch ziemlich heiß. Signor
Marcello liebte die Abgeschiedenheit, um sich in aller Ruhe seinen Tieren
widmen zu können. Ich roch den Hof schon von weiten, ich dachte an Ziegenkäse
und Oliven, ich sang ein kleines Lied vor mich hin, während die Sonne mir direkt
von vorne ins Gesicht brannte.
So konnte ich das Auto nicht erkennen, was mir auf dem
holprigen Weg entgegen rollte, aber weder war es groß, noch war es schwarz. Es
war
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