Cotton Malone 04 - Antarctica
Anonymität.
Der Lift kam an. Als die Tür aufging, trat ein hochgewachsener, schlaksiger Mann mit schütterem, grauem Haar und ruhigen blauen Augen heraus.
Edwin Davis.
Er lächelte sie kurz an. »Stephanie. Genau zu Ihnen wollte ich.«
Sie war sofort auf der Hut. Einer der stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten. Bei ihr in Georgia. Unangekündigt. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
»Und es ist erfrischend, Sie einmal nicht in einer Gefängniszelle anzutreffen«, sagte Davis.
Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als Davis plötzlich aufgetaucht war.
»Wo wollten Sie denn hin?«, fragte er.
»In die Cafeteria.«
»Was dagegen, dass ich mitkomme?«
»Habe ich die Wahl?«
Er lächelte. »So schlimm ist es nicht.«
Sie fuhren zum ersten Stock hinunter und fanden einen Tisch. Sie trank Orangensaft, während Davis eine Flasche Wasser leerte. Der Appetit war ihr vergangen.
»Möchten Sie mir sagen, warum Sie vor fünf Tagen auf den Untersuchungsbericht zum Untergang der USS Blazek zugegriffen haben?«
Sie verbarg ihre Überraschung. »Es war mir nicht bewusst, dass ich damit das Weiße Haus involvieren würde.«
»Die Akte ist geheim.«
»Ich habe kein Gesetz gebrochen.«
»Sie haben sie nach Deutschland geschickt. An Cotton Malone. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie damit in Gang gesetzt haben?«
Jetzt schrillten bei ihr alle Alarmglocken. »Ihr Informationsnetzwerk ist gut.«
»Das sichert unser aller Überleben.«
»Cotton hat eine hohe Sicherheitseinstufung.«
»Hatte. Er ist pensioniert.«
Jetzt war sie erregt. »Das hat Sie nicht weiter gestört, als Sie ihn letzthin in all diese Probleme in Zentralasien mit hineingezerrt haben. Und das war bestimmt auch streng geheim. Es hat auch den Präsidenten nicht daran gehindert, Cotton zu involvieren, als es um den Orden vom Goldenen Vlies ging.«
Davis’ glattes Gesicht legte sich in Sorgenfalten. »Sie wissen nicht, was vor weniger als einer Stunde auf der Zugspitze vorgefallen ist, oder?«
Sie schüttelte den Kopf.
Er stürzte sich in einen umfassenden Bericht und erzählte, dass ein Mann aus einer Seilbahngondel gestürzt war, während ein anderer Mann aus derselben Gondel gesprungen und eine der Stahlstützen hinuntergeklettert war, und dass man eine bewusstlose Frau und ein durchschossenes Fenster vorgefunden hatte, als die Gondel endlich nach unten gebracht worden war.
»Wer von den beiden Männern ist wohl Cotton?«, fragte Davis.
»Ich hoffe derjenige, der entkommen ist.«
Er nickte. »Sie haben die Leiche gefunden. Es war nicht Malone.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Ich habe das Gebiet überwachen lassen.«
Ihre Neugier war geweckt. »Warum denn das?«
Davis leerte sein Wasser. »Ich habe es immer merkwürdig gefunden, dass Malone das Billet so abrupt verlassen hat. Zwölf Jahre war er dabei, und dann ist er einfach so mir nichts, dir nichts komplett ausgestiegen.«
»Dass in Mexico City damals sieben Menschen ums Leben gekommen sind, hat ihn sehr mitgenommen. Und es war schließlich Ihr Chef, der Präsident, der ihn persönlich hat gehen lassen. Eine Revanche für einen geleisteten Gefallen, wie ich es erinnere.«
Davis schien in Gedanken versunken. »Das ist die Währung der Politik. Die Leute denken, dass Geld das System am Laufen hält.« Er schüttelte den Kopf. »Es sind die Gefälligkeiten. Man tut jemandem einen Gefallen und hat Anspruch auf Revanche.«
Sie bemerkte einen sonderbaren Unterton. »Ich habe mich bei Malone für einen Gefallen revanchiert, als ich ihm die Akte gab. Er will über seinen Vater Bescheid wissen …«
»Dazu hatten Sie kein Recht.«
Ihre Erregung machte Verärgerung Platz. »Das sehe ich anders.«
Sie leerte ihren Orangensaft und versuchte, die zahllosen verstörenden Gedanken abzuwehren, die ihr durch den Kopf schwirrten.
»Die Sache liegt inzwischen achtunddreißig Jahre zurück«, erklärte sie.
Davis griff in seine Anzugtasche und legte einen USB-Stick vor ihr auf den Tisch. »Haben Sie die Akte gelesen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht angerührt. Ich habe einen meiner Agenten damit beauftragt, eine Kopie auszudrucken und diese Malone zu überbringen.«
Er zeigte auf den USB-Stick. »Sie müssen das hier lesen.«
5
Feststellungen der Untersuchungskommission zur USS Blazek
Nachdem noch immer keinerlei Spuren der USS Blazek gefunden worden sind, konzentrierte die Kommission sich bei ihrem erneuten Zusammentreten im Dezember 1971 auf das
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