Cotton Malone 04 - Antarctica
Terrasse. Die frische Alpenluft stach ihm in die Lippen. Stephanie Nelle zufolge sollte seine Kontaktperson ihn auf der Aussichtsplattform erwarten. Eines war offensichtlich. Die fast dreitausend Höhenmeter verliehen diesem Treffen zweifellos eine zusätzliche private Note.
Die Zugspitze lag an der Grenze. Südwärts in Richtung Österreich erhob sich eine Kette verschneiter Felsgipfel. Im Norden erstreckte sich ein von Felsspitzen umschlossenes Tal. Ein eisiger Nebelschleier verbarg das deutsche Städtchen Garmisch mit dem dazugehörigen Partenkirchen vor den Blicken. Beide Orte waren Sport-Mekkas, und in der Region waren nicht nur Skifahren, sondern auch Bobschlittenfahren, Eislauf und Eisstockschießen im Angebot.
Weitere Sportarten, die Malone immer gemieden hatte.
Die Aussichtsplattform lag verlassen da, abgesehen von einem älteren Paar und ein paar Skifahrern, die offensichtlich um des schönen Ausblicks willen hier Halt machten. Malone war hierhergekommen, um ein Geheimnis zu lüften, das ihm auf der Seele lag, seit die Männer in Uniform damals gekommen waren, um seine Mutter über den Tod ihres Mannes zu informieren.
»Der Kontakt mit dem Unterseeboot ist vor achtundvierzig Stunden verloren gegangen. Wir haben Such- und Rettungsschiffe in den Nordatlantik geschickt, die die letzte bekannte Position abgesucht haben. Wrackteile wurden vor sechs Stunden gefunden. Wir haben mit der Benachrichtigung der Familien gewartet, bis wir sicher sein konnten, dass es keine Überlebenden gibt. «
Seine Mutter hatte nicht geweint. Das war nicht ihre Art. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht niedergeschmettert war. Es dauerte Jahre, bevor ihm als Jugendlichem die ersten Fragen kamen. Die Regierung bot ihnen praktisch keine Erklärung an, die über die offiziellen Verlautbarungen hinausging. Als er bei der Marine anfing, hatte er versucht, Zugang zum Bericht der mit dem Untergang des U-Bootes befassten Untersuchungskommission zu bekommen, hatte aber erfahren müssen, dass dieser streng geheim war. Später, als Agent des Justizministeriums, der auch vertrauliche Dokumente einsehen konnte, hatte er es erneut versucht. Wieder ohne Erfolg. Als Gary, sein fünfzehnjähriger Sohn, in diesem Sommer zu Besuch gekommen war, hatte Malone sich mit neuen Fragen konfrontiert gesehen. Gary hatte mehr über seinen Großvater erfahren wollen und hatte sich besonders für dessen Tod interessiert. Die Presse hatte über den Untergang der USS Blazek im November 1971 berichtet, und so hatten sie viele der alten Artikel im Internet nachgelesen. Ihre Unterhaltungen hatten seine alten Zweifel wieder aufleben lassen – und zwar so stark, dass er schließlich beschlossen hatte, etwas zu unternehmen.
Er steckte die geballten Fäuste in die Taschen seines Parkas und ging über die Aussichtsterrasse.
Bei der Brüstung waren Teleskope aufgestellt. Vor einem davon stand eine Frau, deren dunkles Haar zu einem wenig vorteilhaften Knoten aufgesteckt war. Sie war in ein knalliges Outfit gekleidet, hatte Skier und Skistöcke neben sich abgestellt und betrachtete das tiefer gelegene Tal.
Er ging unauffällig hinüber. Eine Regel hatte er schon vor langer Zeit gelernt: nie etwas überstürzen. Das brachte nur Ärger.
»Eine eindrucksvolle Aussicht«, sagte er.
Sie drehte sich um. »Unbedingt.«
Ihr Teint war zimtbraun, was in Verbindung mit den, wie er fand, ägyptischen Zügen um Mund, Nase und Augen auf Vorfahren aus dem Nahen Osten schließen ließ.
»Ich bin Cotton Malone.«
»Woher wussten Sie, dass ich diejenige bin, die Sie treffen sollen?«
Er deutete auf den braunen Umschlag, der auf dem Sockel des Teleskops lag. »Offensichtlich ist das keine besonders dringliche Mission.« Er lächelte. »Sind Sie einfach nur eine Botin?«
»Etwas in der Art. Ich bin zum Skilaufen hergekommen. Eine Woche Urlaub, endlich einmal. Das wollte ich immer schon mal machen. Stephanie bat mich, das hier«, sie zeigte auf den Umschlag, »mitzunehmen.« Die Frau wandte sich wieder dem Teleskop zu. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich hier noch zu Ende schaue? Es hat mich einen Euro gekostet, und ich möchte sehen, was dort unten liegt.«
Sie drehte das Teleskop und betrachtete das deutsche Tal, das sich unten über Kilometer hinzog.
»Haben Sie einen Namen?«, fragte Malone.
»Jessica«, sagte sie, das Auge immer noch ans Okular geheftet.
Er griff nach dem Umschlag.
Sie verhinderte den Zugriff mit dem Schuh. »Noch nicht. Stephanie sagte, ich solle Sie
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