Cotton Reloaded - 03: Unsichtbare Schatten
einen Fluch zwischen den Zähnen. Es kam nicht eben selten vor, dass sich ein Lebensmüder von der George Washington Bridge stürzte. Aber musste er ausgerechnet auf seinem Schleppzug landen und ihm diesen Tag verderben, der so vielversprechend begonnen hatte?
Tavy, die benommen zur Brücke hinaufspähte, glaubte auf einem der dicken Tragekabel eine Bewegung wahrzunehmen. Ihr blieb jedoch keine Zeit, ihren Vater auf das Phänomen aufmerksam zu machen, denn plötzlich gab es in dem Leichter eine Explosion, die so heftig war, dass die Druckwelle die junge Frau von den Beinen riss und gegen das Ruder schleuderte.
Das Letzte, was Tavy sah, bevor sie in Bewusstlosigkeit versank, war ihr Vater, der neben ihr lag –und Fetzen aus zerrissenem Unrat, die wie ein Regen aus Hunden und Katzen auf die Porto Alegro niederprasselten.
*
Auf Höhe der George Washington Bridge zum Ufer des Hudson River zu gelangen, war auf der Manhattan-Seite der Brücke nicht ganz einfach. Um sich einen langen, umständlichen Fußweg zu ersparen, fuhr Special Agent Jeremiah Cotton mit dem Dienstchevy kurzerhand vom Henry Hudson Parkway auf einen Schotterplatz im Schatten des monumentalen Brückensockels, um den Wagen dort abzustellen.
Special Agent Philippa Decker, seine Partnerin, die auf dem Beifahrersitz saß, warf ihrem jüngeren Kollegen mit ihren grünen Augen einen fragenden Blick zu.
»Von hier aus müssen wir nur noch eine Straße, die Uferböschung und einen Fußgängerweg überqueren, um ans Ufer zu kommen«, erklärte Cotton, da ihm der Blick seiner Partnerin nicht entgangen war.
Er stoppte den Wagen vor der Brückenmauer und stellte den Motor ab.
»Gibt es denn keine andere Möglichkeit, an unser Ziel zu gelangen?«, fragte Decker.
»Wir hätten auch bis zum nächsten Übergang des Hudson River Greenway fahren können«, erwiderte Cotton. »Aber der ist bekanntlich nur zu Fuß zu erreichen. Vom Übergang bis zurück zur Brücke hätten wir eine Strecke von knapp einer Meile zurücklegen müssen und kostbare Zeit verloren.«
Er deutete auf die Einsatzfahrzeuge der City Police, die auf dem Schotterplatz abgestellt waren. »Es geht schneller, den Weg zu nehmen, den auch die Kollegen vom NYPD eingeschlagen haben. Und der führt nun mal direkt die Böschung hinunter zum Fluss.«
Decker, die sich von ihrem jüngeren Kollegen nicht gerne belehren ließ, stieg wortlos aus. Wenig später standen die beiden Special Agents am Fahrbahnrand und warteten auf eine Gelegenheit, auf die gegenüberliegende Seite der stark befahrenen Straße zu wechseln.
Der Fahrtwind der vorbeifahrenden Autos wirbelte Deckers blondes, schulterlanges Haar hoch. »Jetzt!«, rief sie, als sie einen Freiraum erspähte, der es ihnen erlaubte, die Straße halbwegs risikolos zu überqueren. Sie packte Cotton am Jackenärmel und zerrte ihn hinter sich her über die Fahrbahn.
Der Fahrer eines herannahenden Lincoln drückte entnervt auf die Hupe. Doch als der Wagen auf Höhe der beiden Agents angelangt war, hatten sie die gegenüberliegende Fahrbahnbegrenzung längst erreicht.
Geschickt kletterte Cotton über den hüfthohen Begrenzungswall aus Beton. Als er auf der steil abwärts führenden Böschung sicheren Stand gefunden hatte, reichte er Decker galant die Hand, um ihr über das Hindernis zu helfen.
Die schlanke, hochgewachsene Agentin musterte Cotton unterkühlt, ergriff seine Hand dann aber doch und stieg über den Betonwall hinweg.
Der ausgetretene Trampelpfad, der schnurgerade die dicht mit Buschwerk bewachsene Böschung hinunterführte, verriet, dass diese Abkürzung zum Greenway und der Aussichtsplattform unterhalb der Brücke nicht eben selten benutzt wurde. Während Cotton das steile Gefälle gekonnt hinabstieg, musterte Decker ihn unwillkürlich.
Cottons Bewegungen verrieten Kraft und Ausdauer. Er war ein paar Zentimeter kleiner als sie, strahlte aber eisernen Durchsetzungswillen und rastlose Energie aus.
Doch für Deckers Verhältnisse war Cotton viel zu unbeherrscht und impulsiv. Er würde noch eine Menge Erfahrungen sammeln müssen, ehe ein gestandener Special Agent aus ihm wurde. Die Anlagen dazu hatte er, das hatte er schon während seiner Dienstjahre als Officer beim NYPD gezeigt.
Schließlich erreichten sie den Hudson River Greenway, einen schmalen, zu beiden Seiten mit einem Geländer abgezäunten Fußweg, der über mehrere Meilen dem Verlauf des Ufers folgte.
Anstatt sich nach links zu wenden und zur Aussichtsplattform zu gehen, wo sich ein
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