Cowboy Jim - Alle Geschichten in einem Band
sei sie eine verzauberte Tänzerin.
»Esmeralda ist die Schönste«, erklärte der Farmer, »aber leider ist sie wasserscheu und leicht verschnupft.«
Jim schüttelte den Kopf. Ein wasserscheues Pferd, dem dauernd die Nase lief, war nichts
für einen Cowboy wie ihn. Er brauchte ein hartes Pferd. Wieder betrachtete er die Herde. Jetzt fiel sein Blick auf ein kleines, zottelhaariges Wesen, das ein wenig abseits stand. Es war nicht schön, denn für ein Pferd waren seine Ohren etwas zu groß. Außerdem hatte es eine hängende Unterlippe. Jim betrachtete es näher. Das kleine Pferd blinzelte erst mit dem rechten, dann mit dem linken Auge, als wollte es sagen:
»Nimm mich, ich will dein Freund sein!« Eigentlich hatte sich Jim sein Traumpferd ein bisschen schöner, ein bisschen stolzer, ein bisschen königlicher vorgestellt. Er war der Meinung, sein Pferd sollte Bewunderung und Neid erregen.
»Aah«, sollten die Leute sagen, wenn er durch die Stadt ritt, »ah, schaut, da kommt Jim, der Cowboy! Was hat er doch für ein prächtiges Pferd!«
Dieses kleine, zottelhaarige Pferdchen war ganz und gar nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Und trotzdem gefiel es ihm.
Jetzt wackelte es mit der Nase. Das sah sehr
lustig aus. Es hob den Kopf und prustete ihm mitten ins Gesicht.
»Ich nehme dieses da!«, sagte Jim mit fester Stimme. »Wie heißt es?«
»Irgendwann ist es uns einmal zugelaufen«, erzählte der Farmer, »darum heißt es Mister Tramp. Aber es ist ein gutes Pferd. Es hat noch nie einen Reiter abgeworfen, es war noch nie verschnupft und wasserscheu ist es auch nicht.« Insgeheim freute er sich sehr, dass Jim es sich ausgesucht hatte, denn das kleine Pferd war so hässlich, dass es keiner kaufen wollte. Und weil er froh war, es loszuwerden, schenkte er ihm noch einen alten Sattel und ein Zaumzeug dazu. Jim war glücklich über Mister Tramp. Endlich hatte er ein eigenes Pferd samt Sattel und Zaumzeug. Zusammen mit dem Lasso und der Gitarre war er jetzt vollständig ausgerüstet.
Jetzt machte es ihm nichts mehr aus, wenn ihn die anderen Cowboys verspotteten: »Jim, gib deinem Esel die Sporen. I-ah, i-ah!« Oder: »Pass auf, dass du nicht herunterfällst!« Und Ähnliches.
Er hörte einfach nicht hin.
Mister Tramp war sein Freund, und obwohl man es ihm nicht ansehen konnte, war er mutig und schnell. Jims Meinung nach war er das schnellste Pferd, das zur damaligen Zeit im Wilden Westen zu finden war. Und es hatte auch sonst alle guten Eigenschaften, die ein Pferd und ein Freund haben müssen. Natürlich konnte es nicht reden, aber Jim verstand sich mit ihm auch so. Dafür gab es eine Menge Möglichkeiten, zum Beispiel die Ohrensprache: Stellte Mister Tramp seine Ohren auf, dann hieß das so viel wie:
»Heißa, ist das ein lustiger Tag, lass uns schneller laufen, Jim!«
Ließ er sie hängen, dann wollte er Jim damit zeigen, wie müde er war oder dass er Hunger hatte. Drehte er die Ohren aber so, dass beide Öffnungen nach hinten schauten, dann war höchste Gefahr im Anzug.
Außer der Ohrensprache gab es noch die Nasensprache und die Augensprache, aber die wurden nur bei besonderen Gelegenheiten angewendet. Zwei Dinge liebten Jim
und Mister Tramp gemeinsam. Das eine waren die Cowboylieder und das andere alles, was süß schmeckte.
Spielte Jim auf seiner Gitarre, dann nickte das kleine Pferd mit dem Kopf dazu.
Manchmal, wenn es ganz fröhlich war, trabte es sogar auf der Stelle, und das sah aus, als wolle es tanzen. Mit der Vorliebe für Süßigkeiten hatte es der Cowboy leichter als Mister Tramp. Er fand oft Erdbeeren oder Himbeeren, wenn sie durch den Wald ritten. Doch das kleine Pferd liebte Äpfel und Birnen. Am allerliebsten lutschten beide kleine Zuckerstückchen, aber die waren damals sehr teuer, und Jim hatte ja kein Geld und konnte sich das nicht leisten.
Unterwegs
Jim und Mister Tramp zogen los und blieben immer da, wo es ihnen gerade gefiel. Es war zwar damals nicht ungefährlich, ganz allein und ohne Pistole durch einsame Gegenden zu reiten, denn es gab viele Räuber und nur wenig Polizisten. Aber ein Cowboy hat keine Angst. Jim fühlte sich sehr wohl da draußen und außer seiner Gitarre und dem Lasso gab es bei ihm nichts zu rauben. Für einen Räuber ist aber eine Gitarre oder ein Lasso keinen Überfall wert. Er hält sich lieber an Postkutschen und wandernde Goldgräber.
Meist entschied das kleine Pferd, wohin geritten wurde. Das war gut so, denn irgendwo kamen sie immer an. Unterwegs
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