Crash
Beifahrertür und sah mich dabei an, als hätte er mich noch niemals zuvor klar und deutlich gesehen.
»Ashford Hospital.« Er gestikulierte mir zu. »Sie werden Seagrave aufnehmen, wenn er freigeschnitten ist.«
»Vaughan…« Ich suchte nach einem Weg, ihn wieder zu beruhigen. Ich wollte seine Schenkel berühren und die Knöchel meiner linken Hand gegen seinen Mund pressen. »Sie müssen es Vera sagen.«
»Wem?« Vaughans Blick klärte sich vorübergehend auf. »Vera… die weiß schon Bescheid.«
Er zog ein seidenes Taschentuch aus seiner Tasche, das er sorgfältig zwischen uns auf dem Sitz ausbreitete. In seinem Zentrum lag ein blutgetränktes Stück Leder. Vaughan berührte das Blut mit Fingerspitzen, die er anschließend an die Lippen führte, um den Geschmack zu kosten. Er hatte das Stück aus dem Vordersitz des Mercedes herausgeschnitten, wo das Blut der Unterleibsverletzungen der Frau zwischen ihre Beine gesickert war.
Vaughan starrte das Stück Leder wie hypnotisiert an und durchbohrte die Vinyleinlage von der Naht an. Das Stück lag zwischen uns wie eine heilige Reliquie, das Fragment einer Hand oder eines Schienbeins. Für Vaughan konzentrierte sich in diesem Stückchen Leder, das ebenso köstlich und bitter war wie ein Fleck auf den Stickereien eines Leichentuchs, die ganze spezielle Magie und die Heilkräfte eines modernen Märtyrers der Schnellstraßen. Diese wertvollen Quadratzentimeter waren gegen die Vagina der sterbenden Frau gepreßt gewesen und waren mit dem Blut getränkt, das aus ihrer verletzten Genitalöffnung geflossen war.
Ich wartete am Eingang des Hospitals auf Vaughan. Er achtete nicht auf den Ruf der Schwester an der Aufnahme, sondern rannte direkt zur Unfallstation. Ich saß im Auto vor dem Eingang und fragte mich, ob Vaughan mit der Kamera hier gewartet hatte, als mein verletzter Körper hereingetragen worden war. In diesem Augenblick starb die verletzte Frau möglicherweise, ihr Blutdruck sank, ihre Organe quollen unter dem Druck der nicht mehr zirkulierten Flüssigkeit auf, Tausende deltaförmiger Blutgerinnsel formten einen Damm, der die Flüsse ihres Blutkreislaufes versiegelte. Ich stellte mir vor, wie sie in der Unfallstation auf einer Metallpritsche lag, ihr Gesicht mit dem gebrochenen Nasenbein erinnerte an die Maske, die man anläßlich eines obszönen Halloweenfestes tragen konnte, das so zum Einweihungsritus des eigenen Todes wurde. Ich stellte mir die Kurven der sinkenden Temperaturen ihres Rektums und ihrer Vagina vor, die fallenden Gradienten ihrer Nervenfunktionen die letzten Ströme ihres sterbenden Gehirns.
Ein Verkehrspolizist kam über das Pflaster auf das Auto zu. Er erkannte den Lincoln eindeutig. Als er mich hinter dem Lenkrad sah, ging er weiter, doch einen kurzen Augenblick hatte ich damit gerechnet, mit Vaughan und den unsicheren Vorstellungen von Verbrechen und Gewalt identifiziert zu werden, die in den Augen der Polizisten bereits Gestalt annahmen, ich dachte an die zerstörten Autos am Unfallort und an Seagrave, der auf seinem letzten Acid-Trip gestorben war. Im Augenblick der Kollision mit dem verwirrten Stuntfahrer zelebrierte die Ansagerin ihren letzten Auftritt und vereinte ihren Körper mit den stilisierten Konturen von Armaturenbrett und Windschutzscheibe, ihre elegante Pose mit den gewaltsamen Konjunktionen kollidierender Türen und Kotflügel. Ich stellte mir den Unfall in einer Zeitlupenaufnahme vor, ähnlich den simulierten Unfällen die wir im Straßenforschungslabor gesehen hatten.
Ich sah die Schauspielerin mit ihrem Armaturenbrett kollidieren, die Lenksäule bog sich unter dem Druck ihres schwerbrüstigen Thorax, ihre schlanken Hände, die mir aus Dutzenden von Fernsehshows geläufig waren, wurden von den rasiermesserscharfen Kanten von Aschenbecher und Armatureneinfassungen zerschnitten, ihr in sich gekehrtes Gesicht, in hundert Nahaufnahmen im Dreiviertelprofil und mit schmeichelhaftester Beleuchtung idealisiert, prallte gegen den oberen Rand des Lenkrads, ihr Nasenbein brach, der Knochen wurde durch die Wucht des Aufpralls durch den Rachenraum in den Gaumen gestoßen. Ihre Verstümmelung und ihr Tod wurden zu einer Krönungsfeier ihres Abbildes unter den Händen einer kollidierenden Technologie, ein Zelebrieren ihrer individuellen Gliedmaßen und Gesichtsebenen, sowie ihrer Gesten und Hauttönungen. Jeder Zeuge des Unfalls würde ein Bild der gewaltsamen Verwandlung dieser Frau mit sich tragen, ein Abbild ihrer komplexen
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