Crescendo
Notizen. Als er verstummte, runzelte sie die Stirn und musterte ihn erneut, wobei ihr zwischen den Augenbrauen zwei senkrechte Falten standen, die sie wesentlich älter aussehen ließen.
»Das ist höchst interessant, Wayne. Ich darf Sie doch so nennen?«
Er zuckte die Achseln. Sein Name bedeutete ihm nichts.
»Wayne, könnten Sie mir einige Punkte etwas näher erläutern?«
Sie stellte jede Menge Fragen, gute Fragen, und er genoss es, für sie die Zusammenhänge herzustellen und sie mit Bruchstücken von Informationen zu ködern.
»Sie hätten einen prima Polizisten abgegeben, wissen Sie.« Sie lächelte, als sie ihm das Kompliment machte.
»Danke.«
»Was treibt diesen anderen Mann dazu, Frauen zu vergewaltigen und zu töten?«
Die Frage überrumpelte ihn. Sie wollte etwas über Dave erfahren, und er hatte Verschwiegenheit geschworen. Aber ein paar Hinweise konnten doch wohl nicht schaden, oder? Vielleicht ließ sie sich davon sogar beeindrucken.
»Das Töten ist nicht das Entscheidende, bloß eine logische Konsequenz.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Er ist raffiniert, richtig schlau, aber das Leben hat es nicht gut mit ihm gemeint. Er ist zu gut, findet aber nicht genug Anerkennung.«
»Warum Frauen, keine Männer?«
Er merkte, wie ihm die Röte brennend vom Hals ins Gesicht stieg. Selbst seine Hände wurden heiß. Er brach den Blickkontakt ab und machte einen der Schokoriegel auf, die sie mitgebracht hatte.
»War das jetzt eine schwierige Frage?«
»Nein, nur eine dumme.«
»Aber es kommt doch vor, dass Männer Sexualdelikte an anderen Männern oder auch an Jungen verüben, bis hin zum Sexualmord, oder nicht?«
Ihm war zu warm im Raum und ein bisschen übel von der Schokolade.
»Könnte ich ein Glas Wasser haben?«
»Natürlich.«
Sie warteten schweigend, bis es gebracht wurde. Er leerte es in einem Zug.
»Wenden wir uns wieder diesem anderen Mörder zu. Was, glauben Sie, ist sein Motiv?«
Gute Frage. Er hatte sich das selbst schon mal gefragt, vor langer Zeit, aber es hatte schon keine Bedeutung mehr gehabt, bevor er die Antwort darauf finden konnte. Er schüttelte den Kopf und antwortete zum ersten Mal absolut ehrlich.
»Das weiß ich wirklich nicht.«
Sie fing an, ihn nach dem Gefängnisleben und seinem Gemütszustand zu befragen – Routinekram, den er mit Leichtigkeit parierte.
»Einer der Wachleute hat erwähnt, dass ein Kollege von ihm ermordet worden ist – ein Mr Saunders. Was haben Sie empfunden, als er getötet wurde?«
Er starrte sie verblüfft an, zwang sich dann, die Ruhe zu bewahren. Das machte sie gern, unvermutet eine Fangfrage einzuwerfen, aber er war zu schlau für sie.
»Es war mir egal.«
»Aber Sie mochten ihn nicht, oder?«
»Keiner von uns mochte ihn. Er war ein schikanöses Schwein.«
»Er ist entsetzlich grausam gestorben, wissen Sie das?«
Natürlich hatte er Gerüchte gehört, und Dave hatte in einem seiner Briefe angedeutet, dass es lange gedauert hatte.
»Tatsächlich?«
»Ja. Er wurde gefoltert.«
Sie verstieß gegen die Regeln. So etwas dürfte sie ihm nicht erzählen. Vielleicht war sie doch auf ihn reingefallen.
»Wie?«
»Mit einer Bohrmaschine.« Sie lächelte andeutungsweise, als fände sie die Vorstellung faszinierend.
»Scheiße!« Er warf ihr einen kurzen Blick zu, doch sie schien keinen Anstoß an seiner Ausdrucksweise zu nehmen. Die Wärme breitete sich wie eine Welle vom Gesicht auf seinen ganzen Körper aus.
»Der Mörder hat sich durch einen ganzen Werkzeugkasten durchgearbeitet.«
»Nägel?«
»Oh ja. An seine eigene Couch genagelt.«
Sie saß vorgebeugt. Er konnte die Haut zwischen den Knöpfen ihrer Bluse sehen, und die Hitze in seinem Unterleib nahm zu.
»Und eine Heftpistole. Natürlich auch ein Teppichmesser.« Den letzten Satz schob sie hinterher, als wäre er zu banal, um für sie beide wirklich interessant zu sein. Er beugte sich vor, näher zu ihr. Ihr Parfüm war dezent und blumig, und unter dem Duft konnte er ihren Körper wittern. Die Haut auf ihren Unterarmen war sonnengebräunt und mit weichen Härchen bedeckt. Es fehlten nur wenige Zentimeter, und er hätte sie streicheln können.
Sie lächelte noch immer, als ob sie Freude an den Geheimnissen hatte, die sie miteinander teilten.
»Haben Sie sich schon mal gefragt«, sagte sie, »wie das wohl wäre? Einen Mann zu töten, der Ihnen das Leben zur Hölle macht? Es ihm heimzuzahlen?«
Ihre Lippen waren feucht. Sie schien erregt zu sein. Er hatte schon von diesen
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